Nach der Erweiterung wird Weißrussland über Polen, Litauen und Lettland an die EU grenzen. Das wird in der bitterarmen ehemaligen sowjetischen Teilrepublik - das Durchschnittseinkommen ist weit niedriger als in Russland - durchaus als Chance begriffen. Die politischen Beziehungen zwischen Minsk und Brüssel liegen derzeit aber auf Eis.
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Die Hoffnung, Weißrussland werde seine wirtschaftlichen Verflechtungen mit der EU weiter vertiefen, wird zumindest bei internationalen Symposien immer wieder geäußert: Derzeit sind es 17 Prozent des weißrussischen Außenhandels, der mit den EU-Ländern abgewickelt wird. Weit wichtiger als die EU ist für Minsk aber der Handelsaustausch mit Russland. Import und Export machen hier weit über 50 Prozent aus. Der Grund dafür liegt auf der Hand: "Zwischen Weißrussland und Russland gibt es keinerlei Handelsbeschränkungen wie Zölle oder Kontingente, zwischen Weißrussland und er EU sehr wohl", so Andrei Giro, Botschaftsrat in Wien.
Ob "Weißrusslands zukünftige EU-Nachbarschaft" wirklich "eine Perspektive" hat, wie das Motto einer Veranstaltung der Raiffeisen Zentralbank vom Juni diese Jahres nahe legt, ist derzeit mehr als offen: Für die Vergangenheit können die politischen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der ehemaligen Sowjetrepublik eher als "gestört" bezeichnet werden. Der Grund dafür liegt in der Person des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, der im Laufe der Jahre eine europaweit einzigartige Machtfülle auf sich vereinen konnte. Er wird von der OSZE des mehrfachen Wahlbetrugs beschuldigt und soll überdies hinter dem Verschwinden von Oppositionspolitikern und unbotmäßigen Journalisten stehen.
Dementsprechend isoliert ist der zehn Millionen Einwohner zählende Staat heute. Neben Monaco ist es das einzige europäische Land, dass nicht im Europarat vertreten ist. Lukaschenko wurde zeitweise die Einreise in die EU verboten, der Beitrittskandidat Tschechien erklärte ihn zur "persona non grata". "Der Dialog mit der EU ist gestoppt", bestätigt auch Johann Kausl, Leiter der österreichischen Außenhandelsstelle in Moskau. Es flössen derzeit keine EU-Gelder nach Minsk. Was Kausl nicht unproblematisch sieht: "Die EU misst hier mit zweierlei Maß, da es viele Länder gibt, die ähnliche politische Verhältnisse wie Weißrussland haben und mit denen es Kontakte gibt." Er räumt allerdings ein: "Diese Länder sind aber nicht künftige Nachbarn der EU".
Gegen "EU-Diktat"
Angesichts der Tatsache, dass Weißrussland ab 2004 eine gemeinsame Grenze mit der EU haben wird, ist man in Brüssel vor allem im Bereich der Immigrationskontrolle an einer besseren Gesprächsbasis interessiert. Nach Aussage der weißrussischen Botschaft in Wien verwehre man sich aber entschieden dagegen, dass die EU eine Verbesserung des Verhältnisses von politischen Reformen in Weißrussland abhängig macht. "Wir sind gegen ein Diktat", so Botschaftsrat Andrei Giro.
Neben der politischen Eiszeit zwischen Brüssel und Minsk ist auch Lukaschenkos Verhältnis zu Russland merklich abgekühlt. Ist doch der Traum des Präsidenten von einer politischen Union mit Russland im vergangenen Jahr geplatzt, als Russlands Präsident Vladimir Putin seinem Amtskollegen zu verstehen gab, dass er ihn nicht als gleichberechtigten Partner ansehe. In Sachen Marktwirtschaft hat sich Lukaschenko ohnedies nie Beispiel an Moskau genommen: "Räuberprivatisierungen", wie sie beim großen Nachbarn laut Lukaschenko stattgefunden hätten, kämen für sein Land nicht in Frage. Resultat: Weißrussland ist heute durch eine Mischung aus "alter" Kommando- und "neuer" Marktwirtschaft gekennzeichnet.