)
Gratis Online-Wörterbücher setzen Verlage unter Druck. | Langenscheidt & Co. reagieren mit Übersetzungen auf Handy und E-Book. | Zweisprachige Kinderabenteuer als Marktchance. | Wien.Derzeit ist gerade der Buchstabe W an der Reihe. Vollendet wird das Sprachwerk in etwa zehn Jahren sein. Kostenpunkt: 5000 Euro. Die Rede ist vom Schweizerdeutschen Wörterbuch, an dem Wissenschafter seit 150 Jahren arbeiten. "Wir zeigen darin auf, wie sich der Gebrauch und die Aussprache von Wörtern seit dem Spätmittelalter verändert hat", schildert Hans Bickel, Wörterbuch-Experte von der Universität Basel.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ein Klick im Internet
Der Sprachliebhaber ist sich bewusst, dass die gedruckte Sprachlektüre dabei nur für einen überschaubaren Käuferkreis interessant ist. "Wer heute schnell nach einer Übersetzung oder nach der korrekten Rechtschreibung sucht, der holt sich die Informationen aus dem Internet", gibt der Schweizer offen zu.
Das große Angebot an kostenlosen Online-Wörterbüchern, das dort seit ein paar Jahren auffindbar ist, macht den erfolgsverwöhnten Fremdsprachen-Verlagen zu schaffen. Mit dem Wörterbuchmarkt geht es bergab - die Zahlen sprechen Bände: Allein 2009 betrug der Umsatzrückgang bei Wörterbüchern in Österreich rund 7 Prozent. Für den gesamten deutschsprachigen Markt lag das Minus laut Branchenangaben im zweistelligen Bereich.
"Die Umsätze für gedruckte Wörterbücher gehen seit Jahren zurück, der Markt wird sich weiter verkleinern und sich schließlich auf einem niedrigen Sockel einpendeln", sagt Pons-Geschäftsführerin Gabriele Schmidt. Immer seltener greifen etwa Übersetzungsbüros oder Hochschulen auf die dicken Sprachenwälzer zurück. Pons hat derzeit 270 gedruckte Wörterbücher im Angebot, über die Einstellung des einen oder anderen Titels werde nachgedacht, heißt es vom Stuttgarter Verlag mit dem grün-blauen Buch-Umschlag.
Thai für die Sakkotasche
Auch Langenscheidt - mit einem Anteil von 63 Prozent Marktführer in Deutschland und Österreich - ist vom Abwärtstrend betroffen. "Die Nachfrage geht vor allem für Großwörterbücher - also Nachschlagewerke über 30 Euro - zurück, die allerdings unser kleinstes Segment darstellen", erklärt Pressesprecher Bernhard Kellner. Als verlässlichere Umsatzbringer erweisen sich noch Schulwörterbücher und Wörterbücher in Miniformat für die Reise, aber auch amüsante Übersetzungslektüre wie "Frau-Deutsch" oder "Hund-Deutsch".
An neuen Standbeinen führt angesichts der rückläufigen Absatzzahlen im Wörterbuch-Verkauf kein Weg vorbei: Viel Potenzial sieht das deutsche Verlagshaus Langenscheidt in der Kinder- und Jugendliteratur. Die Fremdsprachenfrühförderung der Kinder gewinne immer mehr an Stellenwert, ist Langenscheidt-Sprecher Kellner überzeugt, weshalb der Verlag soeben mit einem umfangreichen Kinder- und Jugendbuch-Programm auf den Markt geht. Der Schwerpunkt 2010 liegt daher bei unterhaltsamen Lernspielgeschichten und bei zweisprachigen Krimis, Pferde- oder Abenteuererzählungen.
Einst spinnefeind mit dem Internet, haben die Verlage eine Online-Offensive gestartet. Dabei reicht das Angebot längst über die klassischen CD-Rom-Nachschlagewerke, auf die laut Langenscheidt vor allem Firmen gerne zurückgreifen, hinaus.
Pons zum Beispiel setzt auf werbefinanzierte Online-Sprachenportale, in denen Internetuser kostenlos elf verschiedene Sprachen nachschlagen können. Weit verbreitet in der Branche sind auch kostenpflichtige Wörterbuch-Applikationen zum Herunterladen auf das Smartphone, E-Book oder demnächst iPad.
"Kulturelles Gedächtnis"
"Sprachlernprodukte verändern sich, weil wir Menschen uns in unserer Mediennutzung verändern", glaubt Verlagssprecher Kellner. Verlage müssten sich künftig darauf einstellen, dass der Mensch in kleinen Happen und mehreren Umgebungen und Situationen lernen möchte - sei es über einen Vokabel-Kalendertest zum Abreißen, Sprachübungen am iPod oder das gedruckte Wörterbuch als Bettlektüre. Das Printwerk werde daher trotz Online-Konkurrenz überleben.
Darüber sind sich nicht nur die Buch-Verlage einig. Auch der Schweizer Sprachwissenschafter Bickel hält an Altbewährtem fest: "Wir brauchen Wörterbücher, denn sie sind unser kulturelles Gedächtnis. Wer garantiert uns, dass die Internetwerke auch die nächsten Jahrhunderte überstehen werden?"