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Der englische Garten zu Wörlitz

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

"Wörlitz ist keine lokale Größe, nicht einmal eine deutsche, es ist eine europäische, eine Weltangelegenheit", schrieb 1925 der deutsche Kunst- historiker Wilhelm van Kempen.


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Im November des Jahres 2000 bestätigte die Unesco die Ansichten des Historikers und erklärte das Gartenreich Dessau-Wörlitz zum Weltkulturerbe. Im Jahr darauf nahm auch die deutsche Bundesregierung den Landschaftspark in ihr sogenanntes Blaubuch auf. Dabei handelt es sich um "kulturelle Leuchttürme" auf dem Gebiet der ehemaligen DDR.

"Vater Franz" nannten die 53.000 Bürger des kleinen Fürstentums Anhalt-Dessau ihren Regenten liebevoll, der offiziell Leopold III. Friedrich Franz, Fürst und Herzog von Anhalt-Dessau hieß. Er war nicht nur ein liberaler und weltoffener Landesherr, der sein kleines Reich zu einem der modernsten Kleinstaaten Deutschlands entwickelte, er schuf auch unter dem Eindruck seiner zahlreichen Reisen eine für Festlandeuropa sensationelle Parklandschaft, in der die damals junge englische Gartenkunst, klassizistische und neugotische Architektur und ertragreiche Landwirtschaft einander auf intelligente Weise ergänzten.

Rund 100 Kilometer südsüdwestlich von Berlin befindet sich das kleine Städtchen Wörlitz, ein Erholungsort mit knapp 1600 Einwohnern. Es liegt nur wenige Kilometer südlich der Elbe in einer wasserreichen, flachen eiszeitlichen Landschaft. Im "Meyer" von 1885 ist über Wörlitz zu lesen: "Stadt im Herzogtum Anhalt, Kreis Dessau, unweit der Elbe, hat eine hübsche gotische Kirche, Farbenfabrikation, Bierbrauerei, (1885) 1808 Einwohner und ist berühmt durch seinen 1796-1802 vom Herzog Leopold Friedrich Franz angelegten, durch herrliche Vegetation wie botanische Reichtümer ausgezeichneten Park."

Vater Franz hatte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf über einer Million Quadratmetern seinen Gartentraum verwirklicht. Dazu holte er die besten Gestalter seiner Zeit nach Dessau und Wörlitz, wie den Gartenplaner Johann Friedrich Eyserbeck und den frühklassizistischen Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf. Zusammen mit den beiden begab sich der Fürst auf Studienreise nach England und gab 1768 die ersten Pläne in Auftrag.

Allein an Bauten entstanden auf dem Areal das Schloss, der erste klassizistische Bau auf deutschem Boden; eine Synagoge, die dem Vesta-Tempel im alten Rom nachempfunden ist; das Gotische Haus nach dem Vorbild des englischen Strawberry Hill, dem neugotischen Landhaus des Grafen Walpole; ein Venus-Tempel mit einer Kopie der Venus medici des Praxiteles; eine Miniaturausgabe des römischen Pantheon, die Drei-Zimmer-Villa Hamilton, einem Gastfreund des Herzogs gewidmet, und ein Piemonteser Bauernhaus.

Weil das Gebiet mit zahlreichen Seen, Kanälen, Altwassern und Seitenarmen bewässert wird, legte der Fürst besonderen Wert auf die Gestaltung der insgesamt 17 Brücken, die in unterschiedlichen Techniken ausgeführt wurden: Von der chinesischen Brücke, die steil ansteigt, flacher wird und schließlich wieder steil abfällt, über die holländische Klappbrücke bis zur damals völlig neuartigen Eisenbrücke.

Doch mindestens so anregend sind die inszenierten Details in der Landschaft: künstliche Grotten, Klippen und Inseln, nachgebaute Ruinen, Felsengänge, Tempeln, Einsiedler-Höhlen, ein Labyrinth, ein Kolumbarium, ein Amphitheater . . .

Am spektakulärsten ist der künstliche Vulkan auf der Insel Stein. Der Vulkan und die Insel sind dem Golf von Neapel und dem Vesuv nachgebildet. Feuerwerkskörper und rot angestrahltes Wasser dienen als Lava-Ersatz. Der nächste "Ausbruch" ist für den 21. August 2010 geplant.