Die türkische Wirtschaft ist nach dem klaren AKP-Wahlsieg voller Hoffnung. Ob sie sich erfüllt, bleibt abzuwarten.
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Istanbul. Geht es nach der türkischen Lira und der Istanbuler Börse, so wird der überraschend deutliche Wahlsieg der islamisch-konservativen AKP des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan die Wirtschaft des Landes auf den rechten Pfad zurückführen. Am Montag machte die schwächelnde Währung einen Sprung um rund fünf Prozent nach oben und steht damit im Vergleich zum Dollar so hoch wie zuletzt vor vier Monaten. Die Istanbuler Börse begrüßte das Wahlergebnis mit einem kräftigen Kursschub. Offenbar hoffen die Anleger, dass die politische Unsicherheit jetzt ein Ende findet.
Mit ihrem Versprechen für Stabilität und Kontinuität hat die AKP nicht nur die Schlappe der Parlamentswahl vom Juni wieder gedreht, sondern flößt auch der Wirtschaft wieder Vertrauen ein. Die türkische Ökonomie, die in der ersten Dekade der AKP-Regierung ab 2002 teilweise mit "chinesischen" Wachstumsraten von bis zu 9,9 Prozent punktete, stottert seit geraumer Zeit. Wegen der politischen Unsicherheit infolge eines fast zweijährigen Wahlmarathons stockten in- wie ausländische Investitionen.
Kursralley an der Börse
"Die Rückkehr zur Einparteienregierung könnte in nächster Zeit eine deutliche Kursrally an den Märkten auslösen, weil so in Kürze ein funktionsfähiger Wirtschaftsplan und Staatshaushalt vorgelegt werden könnten", schreibt die Türkei-Analystin Tathagata Ghose von der Commerzbank laut dem Finanznachrichtendienst AWP. Doch dürfte der Aufschwung nur kurz anhalten, da sich mittelfristig die Sorgen um den Mangel an rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen und die hohe Verschuldung der Türkei wieder bemerkbar machen werden. "Diese AKP ist nicht mehr die von 2008", zitiert die Londoner "Financial Times" den Kreditanalysten Nicholas Spiro, "Sie können Ihren letzten Dollar darauf verwetten, dass die Partei sich bestärkt fühlt, jetzt noch populistischer und nationalistischer zu regieren, was ernste Fragen über die Geldpolitik und die Fähigkeit der Türkei aufwirft, mit einer globalen Abwärtsstimmung fertig zu werden."
Die Türkei gilt seit mindestens zwei Jahren als eines der wirtschaftlich verwundbarsten Schwellenländer. Das Wachstum sank im vergangenen Jahr auf 2,9 Prozent, und auch dieses Jahr werden nicht mehr als drei Prozent erwartet. Die üblichen strukturellen Defizite wie ein hohes Außenhandelsdefizit, eine zu geringe Sparrate und die Abhängigkeit von ausländischen Investoren belasten die Ökonomie.
Die Lira büßte seit Jahresbeginn 30 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar ein, was den privaten Konsum stark hemmte. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Konsumentenzufriedenheit sank vor den Wahlen auf ein Sechsjahrestief, und viele Ökonomen sehen das Land in der berüchtigten Falle des mittleren Einkommens gefangen.
Auf der Habenseite stehen solide Banken mit einer guten Kapitalausstattung und bislang noch ordentliche Bewertungen der internationalen Rating-Agenturen. In zehn Tagen wird die Türkei in der Mittelmeerstadt Antalya Gastgeber des diesjährigen G20-Treffen der weltgrößten Staatswirtschaften sein; noch steht sie auf Platz 18. Einige Anleger schöpfen auch Trost aus den robusten öffentlichen Finanzen. Doch während sich der Staat weiter entschuldete, haben die türkischen Unternehmen inzwischen rund 200 Milliarden US-Dollar Schulden angehäuft, die bei steigendem Dollarkurs immer schwerer bedient werden können. Und wie in den übrigen Schwellenländern steigt die Angst vor einer Zinserhöhung der amerikanischen Federal Bank, die den Schuldendienst erheblich verteuern würde.
Zentralbank unter Beschuss
Verstärkt werden diese Sorgen durch einen zunehmenden Vertrauensverlust in die Institutionen, vor allem in die Unabhängigkeit der Zentralbank. Weil sie die Zinsen seit zwei Jahren kaum senkt, attackiert Präsident Erdogan sie regelmäßig. Er macht hohe Zinsen für eine hohe Inflation verantwortlich. Hinzu kommt die eskalierende Schwächung der Rechtsstaatlichkeit, die ausländische Investoren abschreckt.
Wirtschaftsanalysten glauben, dass die derzeitige Erholung nicht nachhaltig sein wird, solange das innen- wie außenwirtschaftliche Ungleichgewicht anhält. Nur eine Rückkehr zur früheren Reformpolitik der AKP könne die notwendige Modernisierung der Wirtschaft anschieben. Als Garantie für eine gewisse Stabilität gilt der langjährige Vizepremier Ali Babacan, der laut türkischen Medien die Wirtschaftspolitik wieder mit seinem alten Team lenken soll. Entscheidend wird sein, ob es ihm gelingt, die Unabhängigkeit der Zentralbank zu stärken, damit ausländisches Kapital weiter in die Türkei fließt. Zweifel weckte bereits ein Bericht der regierungsnahen Zeitung Sabah vom Montag, wonach die neue Regierung "Änderungen an der Struktur und der Bank und ihres Geldpolitikkomitees" vornehmen wolle. Zudem hat Erdogan seinen Schwiegersohn Berat Albayrak für einen Leitungsposten im Wirtschaftskabinett empfohlen. Die Entscheidung soll nun im Gespräch zwischen Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und Erdogan fallen.