Im 19. Jahrhundert begann manch eine Karriere mit Nächten auf einer Parkbank - auch jene des Zeitungsmagnaten Joseph Pulitzer, der vor 100 Jahren gestorben ist.
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Joseph Pulitzer, geboren 1847, stammte aus einer gut situierten jüdischen Handelsfamilie, die zuletzt in Budapest wohnte. Nach dem Tod des Vaters ging es aber rapide bergab und der damals siebzehnjährige Joseph Pulitzer sah 1864 keine andere Möglichkeit, als nach Amerika auszuwandern. Dort herrschte gerade Bürgerkrieg, und mittellose junge Männer aus Europa waren als Soldatennachschub höchst willkommen. Pulitzer kam mit einer hinter den Fronten arbeitenden Versorgungstruppe ganz gut durch den Krieg. Die Probleme begannen mit dem Ende des Krieges, im Frühsommer 1865.
Zusätzlich zu dem ständigen Einwandererstrom suchten plötzlich Zehntausende ehemalige Soldaten Arbeit, die meisten schlecht qualifiziert - zu viel für den amerikanischen Arbeitsmarkt. Auch Pulitzer hatte Probleme: Keine Englischkenntnisse und eine abgebrochene Gymnasiumausbildung sind heute wie damals nicht die besten Karrierevoraussetzungen. Da das Geld nach der Abmusterung schnell verbraucht war, dienten ihm die Parkbänke des City Hall Parks im südlichen Manhattan als Nachtquartier.
Karriere in St. Louis
Das Einzige, was Pulitzer wirklich gut konnte, war die deutsche Sprache, die er seit seiner frühen Jugend in Ungarn gelernt hatte. Es lag für ihn daher nahe, mit seinen allerletzten Dollars eine Fahrkarte nach St. Louis, Missouri, zu kaufen. Diese aufstrebende Stadt, damals immerhin die achtgrößte in den USA, war ein Zentrum der deutschsprachigen Einwanderer. Es gab dort "Kuchenbäcker", einen "Pfälzer Hof", Bierlokale, und sehr oft hörte man Leute Deutsch sprechen. Wenn Pulitzer lächelnd "Küss die Hand, gnädige Frau" sagte, punktete er bei den Damen der Gesellschaft.
Mit einer kleinen Schummelei wurde der Zwanzigjährige 1867 amerikanischer Staatsbürger. Er hatte behauptet, bereits fünf Jahre im Land zu sein, obwohl es genau genommen nur drei waren. Immerhin hatte er zuvor leidlich Englisch gelernt.
Kurze Zeit später machte er in einem Schachklub, in dem er sich gerne aufhielt, eine nützliche Bekanntschaft: Er lernte Emil Preetorius (1827 bei Mainz - 1905 St. Louis), Mitherausgeber der überregionalen deutschen Zeitung "Westliche Post", kennen und heuerte bald bei ihm an. Das war der glückliche Beginn einer großen Zeitungskarriere.
Aber Pulitzer musste den Job von der Pike auf lernen. Als Lokalreporter wichtigen Leuten nachzurennen, in Geschäften sich nach Stories umzuhören war alles andere als ein Vergnügen, noch dazu, wenn man wegen einer größeren Nase mit der Verballhornung "Pull-it-Sir" gehänselt wurde. Doch er machte seine Sache gut, wurde bald von Kollegen anerkannt und zum Liebkind von Preetorius. Durch den Kontakt zu den richtigen Leuten fand Pulitzer sehr schnell heraus, wie Politik im Land gemacht wurde: über und mit der Presse. Er sah, wie von der Zeitung gepushte Personen in Washington Karriere machten, und lernte, wie freundliche Berichterstattung über Parteien oder Personengruppen sich in Form von Inseratenaufträgen bezahlt machte - eine Erkenntnis, die im Übrigen auch heute noch gilt.
In den folgenden Jahren machte Pulitzer seine ersten politischen Gehversuche - als Unterstützer von Freunden des liberalen Flügels der Republikaner in St. Louis, aber auch auf bundesstaatlicher Ebene in Missouri. Durch einen Zufall - ein anderer Kandidat war erkrankt und Pulitzer war bei der Wahl zufällig anwesend - kam er auch kurzfristig ins Parlament von Missouri in Jacksonville. Politisch verfolgte er ein Hauptziel: den Kampf gegen die Korruption und Verschwendung von öffentlichen Geldern. Einer der Anlässe war der Bau eines Asyls für Geisteskranke in St. Louis, bei dem einiges schief gelaufen war.
Im Jahr 1872 stand die "Westliche Post" ziemlich schlecht da - sie hatte bei Wahlen die falschen Kandidaten unterstützt, und jetzt blieben Leser, Unterstützer und Inserate aus. Doch Pulitzer, inzwischen durch seine politische Tätigkeit zu bescheidenem Vermögen gekommen, half aus und erwarb einen Anteil an der Zeitung. Im September 1872, acht Jahre nach seiner Ankunft in den USA, war er zum Zeitungsbesitzer und Herausgeber geworden.
Doch bald kam es zu Unstimmigkeiten mit den Mitherausgebern. Pulitzer ließ sich ausbezahlen und erhielt ein Vielfaches seiner Einlagen zurück - über 30.000 Dollar. Plötzlich war er ein gemachter Mann, der nicht mehr regelmäßig arbeiten musste. Er reiste nach Europa, befasste sich privat ein wenig mit juristischen Studien, um im amerikanischen Rechtssystem sattelfest zu werden, passte Kleidung und Wohnadresse an die neuen finanziellen Verhältnisse an und war bereit für risikoreichere Investitionen.
So kaufte er eine bankrotte Zeitung auf, die aber einen lukrativen Anteil an einem Vertriebssystem hatte. Keine zwei Tage später verkaufte er sie wieder mit dem beachtlichen Gewinn von 20.000 Dollar. Aus einer risikoreichen Investition in den Bau eines Schifffahrtskanals zum Mississippi lukrierte er ebenfalls einige zehntausend Dollar.
Auch politisch orientierte sich Pulitzer neu: Nach Unstimmigkeiten mit seinen republikanisch orientierten Freunden und ehemaligen Förderern wechselte er die Seite und wurde im Herbst 1874 Demokrat. Die Demokratische Partei von Missouri umgarnte das neue Mitglied vorerst, doch zum Erfolg, von dem er insgeheim träumte - Abgeordneter in Washington zu werden -, reichte es bei weitem nicht. Auch seine jüdische Herkunft, die er zu verschleiern suchte, machte es ihm nicht leicht. Die "New York Times" schrieb 1876: "Pulitzer gehört zu der großen Gruppe unbeachteter Narren, die sich fälschlicherweise für bedeutende Männer halten". Auch er selbst kam Anfang 1877 zu der Erkenntnis, dass er zwar einiges an Geld beiseite legen konnte, sich aber weder beruflich etablieren noch privat Fuß fassen konnte. Immer noch wohnte er in einem Hotel in St. Louis - in keinem schlechten zwar - aber andere in seinem Alter (er war inzwischen dreißig) hatten bereits Familie mit Kindern.
Der Weg nach oben
Im Juni 1878 gelang Pulitzer die familiäre Etablierung: Er heiratete Kate Davis, Tochter eines heruntergekommenen Plantagenbesitzers. Wenige Tage vor der Hochzeit brachte er seine Braut zur Verzweiflung, weil er plötzlich nach New York verschwand, um eine bankrotte Zeitung zu kaufen, was er dann aber doch nicht tat. Seiner Braut schrieb er: "Ich brauche die Geschäfte, um Geist und Herz zu beschäftigen. . . bereite alles vor . . . Ich werde am Montag zur Zeremonie bei dir sein . . . um dann für immer zu bleiben." Kate war, Berichten zufolge, alles andere als "amused". Mit Kate hatte er dann sieben Kinder haben, von denen zwei sehr früh starben.
Nun ging es auch beruflich aufwärts. Im selben Jahr kaufte Pulitzer in St. Louis eine finanzschwache Zeitung, die er später mit einer anderen kränkelnden lokalen Zeitung zum "St. Louis Post-Dispatch" verband. Damit beherrschte er den boomenden Abendzeitungsmarkt in St. Louis. In kurzer Zeit konnte er die Auflage von 4000 auf 20.000 Exemplare steigern! Sein Erfolgsgeheimnis bestand darin, dass die Zeitung täglich zumindest einen Artikel beinhalten musste, der die Leute dazu brachte "to talk about at dinner table". So wurden die Steuererklärungen sehr wohlhabender Mitbürger veröffentlicht, die sich dem Finanzamt gegenüber als mittellos deklarierten. Auch die schamlos hohen Monopoltarife der St. Louis Gas-Light Company konnte das Blatt mit Erfolg bekämpfen. Pulitzers Jahreseinkommen lag jetzt bei rund 50.000 Dollar. Die "St. Louis Post-Dispatch" warf einen satten Jahresgewinn von 150.000 Dollar ab.
Anfang der achtziger Jahre wurde es Pulitzer in St. Louis zu eng. Die Familie übersiedelte nach New York, wo auch sein jüngerer Bruder Albert im Zeitungsgeschäft tätig war. Dass dort die "New York World" um 346.000 Dollar zum Kauf angeboten wurde, kam Pulitzer sehr gelegen. Er kaufte die finanziell schwächelnde Zeitung und baute sie zu einer der wichtigsten des Landes auf.
Mit seinem alten Erfolgsgeheimnis, mit gut recherchierten und leicht lesbaren Artikeln den Kampf gegen Korruption, Monopole und Privilegien aufzunehmen, konnte er die Auflage von 15.000 auf 600.000 Exemplare steigern und brachte die "World" bald in die Gewinnzone. Der Spruch in seinem Arbeitszimmer, "The World has no friends", sollte die Unabhängigkeit des Blattes dokumentieren. 1895 war die "World" die erste Zeitung auf der Welt, die mit teilweisem Farbdruck erschien und auch Comics veröffentlichte.
Pulitzer hatte auch ein gutes Gespür für junge Journalisten: so stellte er etwa Nellie Bly (1864- 1922) an. Sie war mit verdeckten Reportagen bekannt geworden und ließ sich unter anderem einmal in ein Haus für nervenkranke Frauen einweisen, um dort "undercover" zu recherchieren.
Ab 1890 wurde es ungemütlich für Pulitzer und die "World". In einem beinharten Konkurrenzkampf mit der "New York Sun" hagelte es persönliche Angriffe aus der untersten Schublade. Dazu kam ein immer schlechterer Gesundheitszustand Pulitzers - vermutlich hatte er Diabetes - und ein Nachlassen seiner Sehkraft, was schließlich später zur Erblindung führte. Pulitzer zog sich aus dem Tagesgeschäft zurück, legte aber nach wie vor die Leitlinie des Blattes vor.
Konkurrenzkämpfe
Als der später sehr bekannt gewordene Verleger William Randolph Hearst (1863-1951) von Pulitzers Bruder Albert 1895 das "New York Journal" kaufte, kam es zu einem noch nie da gewesenen Auflagenkampf mit einander gegenseitig überbietenden Sensationsberichten auf immer niedrigerem Niveau. Nach drei Jahren zog Joseph Pulitzer die Notbremse und kehrte zu seriöser Recherche und Berichterstattung zurück.
1895 wurde Pulitzer ins Repräsentantenhaus in Washington gewählt, gab aber bald wieder auf, weil die politische Arbeit mit dem Zeitungsgeschäft zeitlich und inhaltlich nicht vereinbar war. 1909 deckte die "World" einen Bestechungsskandal rund um den Bau des Panamakanals auf. Präsident Theodore Roosevelt, unter dessen Administration das Geld geflossen sein soll, verklagte daraufhin Pulitzer wegen Verleumdung. Er wurde jedoch freigesprochen.
1892 wollte Pulitzer der Columbia University in New York einen hohen Geldbetrag für die Gründung eines Journalismus-Instituts spenden. Die Annahme wurde von der Universität, möglicherweise wegen Pulitzers drängendem Auftreten, jedoch abgelehnt. Nach seinem Tod 1911 vermachte Pulitzer der Universität zwei Millionen Dollar, und 1912 wurde das Institut, das sich "Columbia University Graduate School of Journalism" nannte, eröffnet. Seit 1917 wird von der Universität ebenfalls aus Pulitzers Nachlass jährlich der Pulitzer-Preis für hervorragende journalistische Arbeiten in verschiedenen Kategorien vergeben. Die "World" wurde nach Pulitzers Tod von seinem Sohn weitergeführt, der 1913 das erste Kreuzworträtsel der Welt veröffentlichte.
Wolfgang Ludwig,geboren 1955, unterrichtet Deutsch an der Österreichischen Schule in Shkodra (Albanien) und schreibt Kulturreportagen.