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Der erschütterte Staat

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Politik

In der Slowakei nimmt nach der Ermordung des Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten der Unmut zu.


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Bratislava/Kosice. Auch eine knappe Woche nach dem Auffinden der Leichen des slowakischen Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova ebbt das Entsetzen über die brutale Ermordung des jungen Paares in der Slowakei nicht ab. In den ersten Tagen schien noch klar, dass der 27-Jährige dafür büßen musste, die Veröffentlichung eines Artikels über die Praktiken der kalabrischen Mafia ’Ndrangheta in der Slowakei und deren Verbindungen zu Vertrauten von Premier Robert Fico geplant zu haben. Inzwischen aber tauchen viele Fragen über die Verquickung von Politik und Kriminalität auf, und auch die, warum Kuciak keine Recherchen zu diesem Thema anstellen sollte, obwohl die slowakische Öffentlichkeit seit Jahren darüber zumindest spekuliert.

Alle hätten gewusst, worüber der Ermordete schrieb, konstatierte die Investigativjournalistin Maria Todova von "Denník N" vor kurzem in einer Livesendung von Radio Expres. Und wer nur hin und wieder einen Blick in die lokalen Medien insbesondere der Ostslowakei wirft, wo nach Gutsherrenart eine "Justiz-Mafia" walten soll, deren Ausmaß bisher nur den wenigsten bewusst war, findet zahlreiche Hinweise auf aktuelle Ermittlungen oder fragwürdige Gerichtsentscheidungen.

Nahezu wirkungsloseBekämpfung der Korruption

Möglicherweise kostete es Kuciak das Leben, dass er die Dinge in einen für alle Slowaken erkennbaren Zusammenhang bringen wollte, der über seinen international agierenden Arbeitgeber Ringier Axel Springer einem zu großen Publikum bekannt geworden wäre.

Der Fall Kuciak wirft die Frage auf, in welchem Maße Politik und Wirtschaft von der organisierten Kriminalität unterwandert sind. Der öffentliche Unmut wird jedenfalls immer lauter. Gestern, Freitag, gingen in 50 Städten in der Slowakei und auch im Ausland tausende Menschen zum Gedenken an die Ermordeten auf die Straße.

Ausländische Investoren sind nicht minder erbost. Laut einer Umfrage vom März 2017, die auch von Advantage Austria und der Slowakisch-Österreichen Handelskammer unterstützt wurde, waren die am schlechtesten bewerteten Standortfaktoren eine nahezu wirkungslose Bekämpfung von Korruption und Kriminalität, mangelnde Transparenz bei öffentlichen Ausschreibungen, fehlende Rechtssicherheit und ein erschwerter Zugang zu öffentlichen und EU-Fördermitteln.

An sich war die dritte Regierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Robert Fico im Frühjahr 2016 angetreten, tatkräftig genau diesen Missständen ein Ende zu bereiten. An den Kragen gehen sollte es vor allem Konkursbetrügern und Gründern von Briefkastenfirmen. Federführend ist dabei die Justizministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Lucia Zitnanska, die unter der früheren Regierungschefin Iveta Radicova Vieles durchgesetzt hatte, um die ärgsten Missstände im Rechtswesen abzustellen. In der amtierenden Koalition fehlt Zitnanska aber jede Rückendeckung. Die Justizministerin zeichnet in der von Ficos Smer-SD und der nationalistischen SNS dominierten Regierung für eines von gerade einmal drei unter 18 Ressorts verantwortlich, die sich ihre Partei Most-Hid bei den Koalitionsverhandlungen sichern konnte. Ihr Parteichef Bela Bugar pfiff Zitnanska zurück, als sie den seit Jahren umstrittenen Innenminister Robert Kalinak im Zusammenhang mit der Ermordung Kuciaks zum Rücktritt aufforderte.

Fehlende Schlagkraft insbesondere slowakischer Justizminister, die den nunmehr schon seit Jahrzehnten modernden Korruptionssumpf im Land trockenlegen wollen, ist an sich nichts Neues. Der Ausgang von Gerichtsverfahren hängt bis heute in der Regel davon ab, wie zahlungskräftig Angeklagte oder streitende Parteien sind. Nicht ungewöhnlich scheinen auch Praktiken wie im Falle eines Unternehmers, dessen Vater am Spezialgericht für organisierte Kriminalität in Pezinok tätig ist und für seinen Sohn belastende Dokumente so lange unter Verschluss hielt, bis die Luft für diesen wieder rein war.

Verschärft hat sich die Situation aber unter der Vorgängerregierung, bei der Robert Fico bereits von 2012 bis 2016 das Sagen hatte und als bisher einziger slowakischer Ministerpräsident allein regieren konnte. Die Mitglieder seines Kabinetts galten als Marionette mehrerer Oligarchen, die vor allem als Kreditgeber der Politik weiter an Einfluss gewonnen.

Parteien sind in derHand von Unternehmern

Bei den jüngsten Wahlen zum Nationalrat wurde deutlich, wie wenig stabil die politische Landschaft der Slowakei bis heute ist. Parteien werden nicht selten von Unternehmern gegründet, die so auch Einfluss darauf nehmen, wie Rahmenbedingungen für Wirtschaftstreibende aussehen. Zu ihnen gehören Richard Sulík, Vorsitzender der größten Oppositionspartei Freiheit und Solidarität, und Boris Kollar, Gründer der Rechtspartei Sme rodina. Kollars frühere Kontakte zur Unterwelt von Bratislava wurden vor zwei Jahren ausführlich in slowakischen Medien thematisiert.

Es gibt also, wie von Kuciak bestens belegt, kaum einen slowakischen Spitzenpolitiker, der nicht zumindest indirekt mit dubiosen Kreisen in Berührung ist. Gestern wurde etwa bekannt, dass Nationalratspräsident Andrej Danko, der bisher alle Kontakte zur italienischen Mafia abgestritten hatte, zumindest über Mittelsmänner mit dieser verbandelt ist. Und genau daran, dass jeder mit jedem dealt und dies auch funktioniert, solange sich jeder nur bedeckt hält, scheitert zumindest auf mittlere Sicht eine grundlegende Erneuerung der slowakischen Politik.