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Julian Schmid macht den Kapuzenpulli im Parlament salonfähig.
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Wien. Wie am ersten Schultag. Es liegt ein Zittern in der Luft, alle sind pünktlich und im jeweils feinsten Sonntagsstaat gewandet. Auf Julian Schmid trifft keines davon zu. Der 24-Jährige erscheint ein wenig zu spät zum vereinbarten Treffpunkt vor dem Parlament. Und er sieht aus wie immer. Eine blaue Regenjacke, darunter eine Kapuzenweste, Jeans, hellblaue Converse. Auch, dass er sich in der Früh rasiert hat, ist eher unwahrscheinlich.
Der Grüne Julian Schmid ist der jüngste der im September neu gewählten 183 Abgeordneten und der drittjüngste in der Geschichte des Parlaments - nach den beiden Ex-ÖVP-Mandataren Silvia Grünberger (ehemals Fuhrmann) und Jochen Pack, die 2002 mit 21 Jahren angelobt wurden. Dass er im Freizeitlook zur Angelobung erscheint, ist Programm: "Das Parlament ist die Volksvertretung, wenn man hier ohne Anzug keinen Platz hat, dann läuft etwas falsch", sagt Schmid, der nicht einmal im Besitz eines solchen Kleidungsstücks ist. Nachsatz: "Warum soll ich mich verstellen?" Verspätet hat sich der 24-Jährige indes nicht absichtlich - auf den wenigen Metern von den Stufen vor dem Parlament bis zum Haupteingang mussten zig Hände geschüttelt und Grußworte ausgetauscht werden. Etwa mit den Kollegen von den Neos, die das Hohe Haus ebenfalls zum ersten Mal als gewählte Volksvertreter von innen sahen.
Apropos von innen: Als wir gemeinsam das Haus betreten wollen, wird es eng. Denn Schmid hatte noch keine Zeit, sich eine Dauerzugangskarte für Abgeordnete zu besorgen. Also kramt er wie jeder andere auch den Führerschein hervor und will sich einen Tagespass besorgen. Doch der Parlamentsbedienstete winkt ab: "Grüß Gott, Herr Abgeordneter - bitte gehen Sie nur durch." Dieser Bekanntheitsgrad ist neu. "Am Anfang hat man mich am Empfang immer für einen Teilnehmer einer Schülerführung gehalten", erzählt der Kärntner, der zuletzt grüner Bezirksrat auf der Wieden war. "Ein bisschen ein Systemfehler ist man hier als 24-Jähriger schon." In der vergangenen Legislaturperiode war nur eine einzige Abgeordnete unter 30 Jahre alt, diesmal sind es zehn oder 5,5 Prozent aller Mandatare.
Als Jugendsprecher der Grünen hat Schmid daher große Pläne: Nur sieben Prozent der Österreicher glaubten, dass sich für seine Generation die Zeiten bessern -"meine Vision ist, dass sich die Zeiten sehr wohl bessern". Vor allem im Bildungsbereich will Schmid ansetzen, denn "hier gab es in den letzten Jahren totalen Stillstand". Es könne nicht sein, dass "eine ganze Generation ungern in die Schule geht oder sogar Angst davor hat, weil immer nur auf die Schwächen fokussiert wird", sagt der ehemalige Kärntner Landesschulsprecher. Er will die Lehrerausbildung reformieren, mehr Förderlehrer in den Klassen sehen, die Direktorenbestellung den Schulen überlassen. Last but not least hat er sich auch vorgenommen, "die Generation Praktikum zu beschützen: Es müssen strenge Gesetze her, was ein Praktikant tun darf und was nicht, damit er nicht zum Kaffeeholen vergattert werden kann."
Klingt nach viel Arbeit, oder? "Da rennen viele Politprofis herum, da kann ich nicht mithalten, aber ich hoffe, dass ich ausreichend verändern werde, sodass ich nach den fünf Jahren zufrieden bin", sagt Schmid.
Und was ist, wenn nicht? Den Bachelor in Politikwissenschaften hat er schon, er überlegt sich, nebenher den Master zu machen. Aber sonst könne er mit 29 ja noch einmal ganz etwas Neues machen. Den finanziellen Polster dafür kann er sich jetzt jedenfalls zurücklegen, ist doch ein Nationalratsmandat nicht vergleichbar mit einem Studentenjob: Mehr als 8000 brutto verdient ein österreichischer Mandatar. Schmid will den Großteil des Geldes auf ein Ausbildungskonto legen -"wegen des Geldes bin ich nicht in die Politik gegangen, aber es gibt schon Unabhängigkeit", gibt er zu.
Für einen Anzug muss er sein Salär jedenfalls nicht verwenden - ein Neos-Abgeordneter will ihm einen solchen spendieren. Mittlerweile ist die konstituierende Sitzung des Nationalrats in vollem Gang. Nach einem Probesitzen auf seinem neuen Platz in der letzten Reihe -"ein klassischer Hinterbänkler bin ich nicht, die neuen Abgeordneten haben die Sitzplätze ausgewürfelt" - und einer kurzen Klubsitzung steht Schmid da und trällert die Bundeshymne mit. Dann, um exakt 10.12 Uhr, spricht er die magischen Worte: "Ich gelobe" - und ist damit offiziell jüngster Mandatar der XXV. Legislaturperiode. Oder, um mit Frank Stronach zu sprechen: "Du bist der jüngste Abgeordnete, i bin der ölteste."
Nach den Reden und der Wahl der Nationalratspräsidenten nehmen gleich die wichtigsten Ausschüsse - allen voran der Hauptausschuss - ihre Arbeit auf. Darum muss sich Schmid als Neuling nicht kümmern. Er hat den Nachmittag frei. Also geht er essen mit seiner Familie und seinen besten Freunden - die stolzen Eltern sind eigens angereist, auch einer seiner Brüder ist da. Wie am ersten Schultag eben.