Beim ersten TV-Duell zweier Kandidaten für den EU-Kommissionspräsidenten gab es keinen klaren Sieger.
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Berlin/Brüssel. Das Alter, die Türkei und die Steuerpolitik: Dies sorgte für die heftigsten Wortwechsel zwischen Martin Schulz und Jean-Claude Juncker. Mit einem Geplänkel zwischen den beiden knapp 60-Jährigen, wer der Jüngere sei - wobei Schulz gewann -, stiegen der deutsche Sozialdemokrat und der Luxemburger Christdemokrat in ihre erste Fernsehdebatte im deutschsprachigen Raum ein. Das Ereignis wurde von den Sendern ZDF und ORF gleich als mehrfache Premiere beworben - nicht nur wegen der länderübergreifenden Produktion, sondern auch der Auseinandersetzung von zwei Spitzenkandidaten, die sich bei der EU-Wahl in gut zwei Wochen vor allem um den Posten des Kommissionspräsidenten bemühen.
Erstmals nämlich sollen die Unionsbürger bei dem Urnengang nicht nur über die Zusammensetzung des EU-Parlaments abstimmen, sondern auch darüber, wer das Amt an der Spitze der Brüsseler Behörde übernimmt, die die Vorschläge für künftige Gesetze der Gemeinschaft macht. Das zumindest ist der Wunsch des Abgeordnetenhauses. Bisher hatten sich die EU-Staats- und Regierungschefs untereinander geeinigt, wer zum Kommissionspräsidenten bestimmt werden soll.
Der nächste aber soll nach dem Willen der derzeit stärksten Fraktionen in der Volksvertretung einer von ihnen werden, wobei eine aktuelle Umfrage beim Wahlergebnis dem Konservativen Juncker einen kleinen Stimmenvorsprung vor Schulz prognostiziert. In den Sympathiewerten des Publikums bei der Fernsehdebatte in Berlin schien jedoch der Sozialdemokrat einen leichten Heimvorteil genossen zu haben.
So konnte er mit der Forderung punkten, dass die nächste EU-Kommission zur Hälfte aus Frauen bestehen sollte. Zurückhaltender zeigte er sich mit den Ankündigungen zur Erweiterung der EU - und wollte dennoch Juncker zu einer Festlegung auf einen möglichen Unionsbeitritt der Türkei bringen. Immerhin waren sich der deutsche Parlamentspräsident und der Ex-Premier Luxemburgs einig, dass sich die EU in den kommenden fünf Jahren nicht weiter vergrößern würde.
Jobs oder stabile Finanzen?
Unterschiedlich bewertet wurden hingegen die Aufgaben der künftigen Steuerpolitik. Während Schulz für einen Mindeststeuersatz plädiert, um Steuerhinterziehung zu vermeiden, kann sich Juncker lediglich mit einer harmonisierten Unternehmensbesteuerung anfreunden. Und auch dabei, was das wichtigste Projekt für den künftigen Kommissionspräsidenten wäre, gingen die Meinungen auseinander. Für Schulz ist es die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit; für Juncker dauerhaftes Wirtschaftswachstum samt stabilen Staatsfinanzen.
Die Unterschiede zwischen den Positionen sind allerdings teilweise dem Wahlkampf geschuldet. Denn beide Kandidaten, seit Jahrzehnten in der europäischen Politik tätig, haben in einigen Bereichen ähnliche Anschauungen - auch wenn sie diese aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktionen nicht auf gleiche Weise äußern können. Doch ebenso wie Schulz kann Juncker gegen die Kleinkariertheit der einzelnen Staaten wettern, deren Spitzenvertreter eher an die die jeweiligen nationalen Wahlen denken denn an das Gesamtprojekt EU. An der Erfindung der Gemeinschaftswährung, an der auch Schulz nicht rütteln lassen würde, war Juncker wesentlich beteiligt. Und die Mahnung, die soziale Dimension der Gemeinschaft nicht zu vernachlässigen, war vom Christdemokraten ebenfalls schon mehrmals zu hören - auch wenn der Luxemburger als damaliger Vorsitzender der Eurogruppe die von Schulz als "Spardiktat" bezeichneten Programme zur Budgetkonsolidierung mittragen musste.
EU-Enthusiasmus lässt sich jedenfalls beiden nicht absprechen. Genau das aber könnte den Mitgliedstaaten unbequem erscheinen. Einen mächtigen Kommissionspräsidenten, der für eine Stärkung seiner Behörde eintritt, wünscht sich kaum ein Staats- oder Regierungschef. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass die Länder nach der EU-Wahl doch noch versuchen werden, einen anderen Kandidaten als Juncker oder Schulz zu küren - vor allem, wenn weder Juncker noch Schulz eine überragende Mehrheit und damit klare Unterstützung im EU-Parlament haben. Denn auch dort kann eine vor dem Urnengang geschlossene Allianz danach schnell an Aktualität verlieren.