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Schottland hat das Band zu London nicht durchschnitten. Deshalb atmet auch Brüssel auf. | Denn das erhöht die Chancen, dass Großbritannien in der EU bleibt.
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Brüssel/Edinburgh/Wien. Gratulationen von allen Seiten der EU: Dass die Schotten für einen Verbleib bei Großbritannien gestimmt haben, brachte ihnen auf dem Kontinent wahre Lobeshymnen ein. Bekundungen der Freude kamen sowohl aus den Hauptstädten als auch aus dem EU-Parlament. Und der Präsident der EU-Kommission, Jose Manuel Barroso, bezeichnete den Ausgang des Referendums als gut für ein "offenes, starkes Europa".
Die Begeisterung der Brüsseler Behörde steht im Gegensatz zu dem Schweigen, in dem sie sich zuvor wochenlang geübt hatte. Keinen Kommentar ließen sich die Sprecher entlocken; nicht einmal über rechtliche Rahmenbedingungen einer möglichen Neuverhandlung der EU-Mitgliedschaft wollten sie debattieren. Dabei wären solche Gespräche im Fall Schottlands weit einfacher gewesen als bei anderen Beitrittskandidaten.
Dass die Kommission nicht einmal dies erklären wollte, ist aus Diplomatensicht verständlich. Ausführungen darüber hätten weder den Briten noch den Spaniern gefallen, die sich ebenfalls mit separatistischen Tendenzen mancher Regionen auseinandersetzen müssen. Und dafür, dass Brüssel London nicht verstimmen möchte, gibt es gleich mehrere Gründe.
Denn das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU ist in letzter Zeit vor allem von Distanz geprägt. Doch bemühen sich EU-Kommission und andere Institutionen, den Stellenwert der Insel in der gesamten Union hervorzustreichen und der EU-Skepsis der Briten keine Nahrung zu geben. Die werden nämlich womöglich selbst vor der Entscheidung stehen, ob sie austreten wollen - aus der Europäischen Union.
Der britische Premier David Cameron hat ja im Falle eines Wahlsiegs für 2017 ein Referendum über einen EU-Austritt in Aussicht gestellt. Und in Brüssel hat es Erleichterung ausgelöst, dass die Schotten das Band mit London nicht durchschnitten haben. Denn damit sind auch die Chancen gestiegen, dass Großbritannien Teil der EU bleibt.
Hochburg der EU-Befürworter
In Schottland ist der Zuspruch zur EU größer als im britischen Durchschnitt. Hier hat die United Kingdom Indepence Party (Ukip), die gegen Brüssel wettert und die letzten Europawahlen gewann, nie Wurzeln schlagen können. Und auch die konservativen Tories mit all ihren EU-Skeptikern und -Gegnern haben in Schottland wenig Anhänger. Von den 63 Millionen Einwohnern Großbritanniens sind zwar nur rund fünf Millionen Schotten - aber genau sie könnten den Unterschied ausmachen.
Viele Beobachter sind überzeugt, dass sich das britische Referendum über einen EU-Austritt - egal, wer die nächsten Wahlen gewinnt - ohnehin nicht mehr aufhalten lässt. Denn die Diskussion hat schon zu viel an Dynamik gewonnen, und gerade die Abstimmung der Schotten dient nun als Vorbild.
Deshalb sei es besser, sich schon jetzt auf die EU-Abstimmung vorzubereiten und Argumente zu sammeln, "anstatt in die Abstimmung hineinzufallen, wie das anscheinend beim Schottland-Referendum passiert ist", sagt Fabian Zuleeg, Leiter der Denkfabrik European Policy Centre, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Lange schien die Regierung in London das Votum nicht ganz ernst zu nehmen - als sei die Abstimmung nur Folklore und das Auseinanderbrechen Großbritanniens etwas Undenkbares.
Und während die Unabhängigkeitsbefürworter mit Emotionen und historischen Verweisen über Jahre hinweg geschickt kampagnisierten, fuhren die Unionisten erst am Ende der Debatte auf der Gefühlsschiene - etwa bei den leidenschaftlichen Auftritten des britischen Ex-Premiers Gordon Brown, der als stolzer Schotte für die Einheit trommelte.
Ähnliche Argumente
Zuvor hatten sie vor allem mit wirtschaftlichen Argumenten gearbeitet. Dass bei einer Unabhängigkeit Firmen aus Schottland abziehen, dass die Arbeitslosigkeit steigt, dass schottische Unternehmen einen schlechteren Zugang zum britischen Markt hätten. Zuleeg analysiert, dass es hier eine Parallele zu der britischen EU-Debatte gibt.
Auch die EU-Befürworter führen ins Treffen, welchen Schaden für Großbritannien etwa ein Wegfall des europäischen Binnenmarktes hätte. Zulegg plädiert dafür, der Diskussion eine Wende zu geben, etwa indem mehr der Nutzen der EU herausgestrichen wird. So würden auch viele Briten den freien Arbeitsmarkt nützen. Gleichzeitig räumt der Politanalyst aber ein, dass das nicht so leicht sei, da die britischen Medien "über Jahrzehnte sehr negativ über die Europäische Union berichtet haben. Das Einzige, was positiv vermerkt wird, sind wirtschaftliche Vorteile."
Die schottische Unabhängigkeitsdebatte färbt auf die britische EU-Diskussion ab - und umgekehrt. Dass Schottland auch in Zukunft kein eigener Staat wird, sei laut Zuleeg deshalb noch keine ausgemachte Sache. "Wenn Großbritannien dafür votiert, aus der Europäischen Union auszutreten, in Schottland aber eine Mehrheit in der Europäischen Union bleiben will, dann wäre das meiner Einschätzung nach eine direkte Route in die schottische Unabhängigkeit."