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Deutschland blockiert Lösungen für die Euro-Krise. | Griechenlands Weg zum IWF fast unabwendbar. | Experte: Eurozone kann ohne Solidarität nicht funktionieren. | Brüssel/Wien. Deutschland entwickelt sich von der Lokomotive der europäischen Integration zum Bremsklotz: Vor dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende kommender Woche in Brüssel wächst die Ungeduld über Berlins Blockadehaltung - nicht nur in Athen: Dort bezeichnen Medien die Deutschen mittlerweile bereits als "unsere größten Feinde in Europa".
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Die griechische Schuldenkrise bleibt weiter ungelöst - die Sprengladung für den Euro ist weiterhin scharf. Was wollen die Deutschen, ist die Frage, die sich viele stellen.
Tatsächlich waren die Signale der letzten Wochen alles andere als kohärent: Beim EU-Sondergipfel am 11. Februar hatten die EU-Chefs beschlossen, dass die "Eurozonen-Mitglieder, falls nötig, eine entschlossene und koordinierte Aktion" unternehmen würden, um die finanzielle Stabilität der Eurozone zu sichern.
"Griechenland wird nicht im Stich gelassen", hatte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betont - und zugleich auf die Einhaltung der Regeln gepocht.
Agieren "eine Schande"
"Ich hege große Sympathie für die deutsche Position, Ländern wie Griechenland fiskalische Disziplin abzuverlangen", sagt der renommierte belgische Ökonom Paul de Grauwe im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Nachdem Athen sich nun dazu bekannt hat, sollten die versprochenen Hilfen aber schlussendlich bereitgestellt werden."
Deutschland sei selbst nicht ganz frei von Schuld: Im Jahr 2003, als es gegen den Stabilitätspakt verstieß, hatte Berlin für eine Aufweichung der Prinzipien lobbyiert.
Umso mehr sei das jetzige Agieren innerhalb der Eurozone eine "Schande", so de Grauwe. Er fordert ein Mindestmaß an Solidarität innerhalb der Währungsgemeinschaft, alles andere wäre ein "äußerst schlechtes Signal für die Zukunft". Er schließt ein Auseinanderbrechen der Eurozone nicht aus: "Dazu könnte es an einem gewissen Punkt kommen, ja. Zwar nicht sofort. Aber ein System kann nicht funktionieren, wenn sich alle bei einer Krise auf den Standpunkt Hilf dir selbst verlegen." Berlin lasse jeden Anspruch auf eine Führungsrolle vermissen. Bei der Griechenland-Krise stünden nationale Eigeninteressen vor der Lösung der wirtschaftlichen Probleme.
Einstiges EU-Zugpferd
Das war nicht immer so: Deutschland galt oft als Motor für die Integration der EU. So befreite Merkel die Union unter ihrem Vorsitz im ersten Halbjahr 2007 aus der Erstarrung und meisterte das schier unlösbare Problem, den gescheiterten Verfassungsvertrag zu retten. Mit geschickter Diplomatie fing sie auch kritische Mitgliedstaaten wie Polen und Tschechien ein. Auch bei den Klimazielen schaffte es Berlin, die 27 EU-Länder zu einen.
Ganz anders bei der Schuldenkrise. Zunächst war die deutsche Regierung über Wochen primär damit beschäftigt, dem Bundesbank-Chef Axel Weber den Weg auf den Chefsessel der Europäischen Zentralbank (EZB) 2011 zu ebnen - was mit der Bestellung des Portugiesen Vitor Constancio als EZB-Vizepräsident vorerst gelungen ist. Berlin verweigert aber weiterhin konstruktive Zusagen - aus mehreren Motiven: Die Deutschen müssten die Hauptlast eines Rettungspakets stemmen. Schätzungen zufolge könnte sich der Beitrag auf 20 Milliarden Euro belaufen.
Zugleich regiert die Angst vor den Verfassungsrichtern in Karlsruhe: Hilfsmaßnahmen wären nur schwer mit dem (von Deutschland einst selbst in die Verträge reklamierten) "Bail-out"-Verbot in Einklang zu bringen. Dieses untersagt die Übernahme von Schulden oder Garantien für ein anderes Land.
Und nicht zuletzt versucht Deutschland, sich ein Einlenken nur durch andere Zugeständnisse abpressen zu lassen. So schlug Finanzminister Wolfgang Schäuble zwar die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds (EWF) vor. Allerdings sollte es die Möglichkeit geben, Länder aus der Eurozone zu verbannen, die massiv gegen die Stabilitätsauflagen verstoßen.
Paul de Grauwe, der auch Mitglied einer EU-Beratergruppe ist, hält diese Forderung für absurd: "Eine Exit-Klausel würde die Eurozone sprengen, weil sie sofort Spekulanten auf den Plan ruft, die auf den Austritt der schwächsten Länder wetten." Die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds befürwortet De Grauwe. Dieser sollte allerdings einen Hilfsautomatismus beinhalten - mit strengen Auflagen, aber frei von politischer Einflussnahme.
Zuflucht beim IWF
Für Griechenland käme diese Variante aber zu spät. Deshalb wird es immer wahrscheinlicher, dass sich Athen an den Internationalen Währungsfonds wendet (siehe Kasten unten). "Derzeit muss Griechenland für Kredite doppelt so hohe Zinsen zahlen wie Deutschland - da wären IWF-Kredite bedeutend günstiger", sagt de Grauwe. Wie dieser Schritt von den Märkten aufgenommen und ob er
die Reputation des Euro
beschädigen würde, sei schwer vorherzusagen: "Es wäre jedenfalls ein Signal, dass die Eurozone relativ einfache Probleme selbst nicht lösen kann."