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Der Europäische Gerichtshof ist gegen den Eingriff in Vorsteuerabzugs-Rechte

Von Alfred Abel

Wirtschaft

Es gibt zwei Gewinner und jede Menge Ratlose. Für zwei heimische Unternehmer - einen Steirer und einen Vorarlberger - endete ein jahrelanger Streit mit dem heimischen Fiskus erfreulich. Sie konnten sich vom Europäischen Höchstgericht bestätigen lassen, dass das 1996 verordnete Vorsteuerverbot für betriebliche Kleinbusse rechtswidrig war. Diese oberstgerichtliche Feststellung hat freilich über den Kleinbus-Streit hinaus Brisanz, weshalb alle gespannt auf die Reaktion des heimischen Fiskus warten. Die lässt indessen auf sich warten.


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Zeitreise sechs Jahre zurück. 1996 machten der Steirer und der Vorarlberger für ihre Kleinbusse Marke Pontiac TranSport und Fiat Ulysse den umsatzsteuerlichen Vorsteuerabzug geltend; sie wollten vom Finanzamt die Umsatzsteuer, die in den Kfz-Kosten enthalten war, refundiert haben. Geht nicht, sagten die Finanzämter unisono.

Tatsächlich hatte sich nämlich inzwischen die Rechtsansicht der Finanz über die Bauart der Kleinbusse wesentlich geändert. Ursprünglich waren diese Fahrzeuge als mehrsitzige Personenfahrzeuge anerkannt und als vorsteuerberechtigt zugelassen worden; ein freundlicher Erlass aus 1987 hatte das Steuerventil geöffnet. Unter dem Druck budgetärer Nöte hatte man aber 1996 plötzlich eine weitaus engere Kleinbus-Definition verkündet und damit den Vorsteuerabzug für Fahrzeuge früherer Bauart abrupt eingeschränkt.

Die streitbaren Unternehmer aus den Bundesländern ließen den fiskalischen Meinungsumschwung freilich nicht gelten und stritten sich bis zum Verwaltungsgerichtshof hinauf. Man könne einen Kleinbus nicht einmal so und ein andermal anders sehen, argumentierten sie, und im übrigen sei Österreich seit 1995 EU-Land, und da seien fiskalische Vorsteuer-Cuts gegenüber der früheren Rechtslage nicht mehr zulässig.

VwGH-Anfrage an EuGH

Erstaunlicherweise fand sich unser Höchstgericht nicht in der Lage, den kniffligen Rechtsfall durch Studium der für den EU-Raum geltenden Umsatzsteuer-Generalnorm zu lösen. Diese Norm - die sogenannte Sechste Richtlinie aus dem Jahr 1977 - ist seit dem EU-Beitritt Österreichs auch für unser Land verbindlich. Dem Verwaltungsgerichtshof kamen dennoch Zweifel bei der Interpretation dieser Richtlinie, und er wandte sich an dem Europäischen Gerichtshof um Klärung folgender Fragen:

1.Darf ein EU-Mitgliedsstaat bestimmte Fahrzeuge, die davor vorsteuerberechtigt waren, nach dem Beitritt zur Gemeinschaft vom Vorsteuerabzug ausschließen oder diesen einschränken?

2.Darf ein EU-Mitglied ohne vorhergehende Konsultationen zwecks Konsolidierung seines Budgets bestehende Vorsteuerrechte - womöglich gar unbefristet - einschränken!

In der EuGH-Verhandlung kam auch ein Vertreter der österreichischen Regierung zu Wort. Er betrieb ein bisschen Kindesweglegung und bezeichnete den freundlichen Erlass aus 1987 als unverbindliche Verwaltungsrichtlinie; erst die einschränkende Verordnung aus 1996 im Zuge des Strukturanpassungsgesetzes habe die wirtschaftlich zutreffende Kleinbus-Definition festgeschrieben - und damit im Ergebnis die Einschränkung des Vorsteuerabzugs für Modelle der früheren Definition klargestellt.

Der Vertreter der EG-Kommission ging auf diese fiskalische Kasuistik nicht näher ein, sondern verwies auf die Sechste Richtlinie, nach der weder früher bestehende Vorsteuerbegünstigungen eingeschränkt noch neue Ausschlusstatbestände für den Vorsteuerabzug national eingeführt werden dürfen. Das Bestreben der Gemeinschaft nach einer Umsatzsteuer-Harmonisierung könnte sonst auf diese Weise unterlaufen werden.

Eine Ausnahme von dieser ehernen Regel der 6. Richtlinie sei nur bei uniformen Vorgehen aller Mitgliedsstaaten zulässig oder wenn einem Land - etwa zur Steuerung von Konjunkturproblemen - eine solche Maßnahme befristet zugestanden würde. Eine solche Konsultation sei aber von Österreich nicht initiiert worden.

Der kurze Text des EuGH-Urteils, der Verweis auf die 6. Richtlinie und auf Präzedenzfälle machte den EuGH-Richtern die Antwort nach Österreich relativ leicht:

*Ein EU-Mitgliedsstaat darf nach Inkrafttreten der 6. Richtlinie (das war für Österreich der 1. Jänner 1995) davor bestehende Vorsteuerabzüge für bestimmte Kraftfahrzeuge nicht einseitig beschränken.

*Die Sonderermächtigung für nationale Vorsteuerbe-schränkungen setze voraus, dass der betreffende Mitgliedsstaat den EG-Mehrwertsteuer-Ausschuss vorher konsultiere und einen befristeten Vorschlag vorlege.

Die Antwort aus Luxemburg lässt die beiden heimischen Unternehmer jubeln. Ihre Streitverfahren können jetzt vom hiesigen Verwaltungsgericht positiv abgeschlossen werden. Für viele Steuerexperten bleibt freilich eine ganze Palette von Zusatzfragen offen.

Rechtswirkung für alle?

Etwa diese: Gilt die Aufhebung des nun für rechtswidrig erkannten Vorsteuerverbots (für die früheren Kleinbusse) auch für jene Unternehmer, die die verbösernde Verordnung aus 1996 resignierend akzeptiert haben? Gibt es eine Wiederausnahmemöglichkeit für die seit damals abgeschlossenen Steuerverfahren? Oder haben nur jene Unternehmer eine Refundierungs-Chance, die auf Rat ihrer Steuerberater die bezüglichen Steuerverfahren per Rechtsmittel "offengehalten" haben?

Brisante Weiterungen

Weiters: Die Aussage des EuGH könnte auch auf andere nachträgliche Vorsteuereinschränkungen Auswirkung haben. Etwa auf die Vorsteuern von betrieblichen Bewirtungskosten oder von den Kosten häuslicher Arbeitsräume. Kommt es auch hier zu einer (rückwirkenden) Verfahrensumkehr?

Die maßgeblichen Fragenbeantworter im Finanzministerium sind derzeit auf Tauchstation und suchen nach einem Ausweg. Immerhin könnte eine generelle Vorsteuer-Berichtigungsaktion im Sinne des EuGH-Urteils den Fiskus an die 15 Millionen Euro kosten. Allein dieser Aspekt lässt an einer raschen generellen Lösung des Problems zweifeln.