Zum Hauptinhalt springen

Der Europarat ist in die Jahre gekommen und hat noch Zukunft

Von Heike Hausensteiner

Europaarchiv

Das "Europäische Jahr der Sprachen 2001" wird am Sonntag in der schwedischen Stadt Lund die eröffnet. Veranstaltet wird das Sprachenjahr vom Europarat gemeinsam mit der Europäischen Union. Denn das Erlernen von Sprachen fördere die Entwicklung der Toleranz und des Verständnisses zwischen Menschen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund. Die Menschenrechte sind ein Grundpfeiler des Europarates, die EU ist aber unumstritten die politisch stärkere Organisation. Dennoch hat der Europarat noch seine Daseinsberechtigung, meinen Experten gegenüber der "Wiener Zeitung".


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Mehr als 300 Programme sollen zum Sprachenlernen motivieren. Der Schwerpunkt liegt aus österreichischer Sicht auf den Sprachen der Nachbarländer (die "Wiener Zeitung" berichtete). An dem Pilotprojekt beteiligen sich die 43 Mitgliedstaaten des Europarats - unter denen sich auch die 15 EU-Länder befinden - sowie fünf weitere Staaten, welche die Europäische Kulturkonvention des Europarats unterzeichnet haben. Neben den EU-15 sind das Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Estland, Georgien, Island, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Malta, Mazedonien, Moldawien, Monaco, Norwegen, Polen, Rumänien, Russland, San Marino, Schweiz, Slowakei, Tschechien, Türkei, Ukraine, Ungarn, Weißrussland und Zypern.

Für mehr als 800 Millionen Menschen werde seine Organisation arbeiten, erklärte der Europarats-Generalsekretär, der ÖVP-Abgeordnete Walter Schwimmer. Das Jahr 2001 sei ein "Testjahr für den Aufbau der Demokratie" in einem größeren Europa.

Armenien und Aserbaidschan sind erst Ende Jänner in die europäische Staatenorganisation aufgenommen worden. Der Bundesrepublik Jugoslawien wurde ein Sonderbeobachterstatus eingeräumt.

Auf Demokratie vorbereiten

Für die osteuropäischen Länder hat der Europarat einen ungleich höheren Stellenwert als für die EU-Mitgliedsländer. Die "Heranführung der Staaten der ehemaligen Sowjetunion und der ehemaligen postkommunistischen Länder an eine demokratische Entwicklung" sei neben den Menschenrechten die zweite Hauptaufgabe des Europarates, meint Paul Luif vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (ÖIIP). So könnten diese Staaten lernen, in einem multilateralen Staatenverbund zu agieren. Freilich stehe der Europarat "immer mehr im Schatten der EU", gesteht Luif ein.

Monitoring-Instrument

Gerade im Erweiterungsprozess der EU sei der Europarat in Sachen Einhaltung der demokratischen Prinzipien "das Monitoring-Instrument schlechthin", meint der ehemalige ÖVP-Politiker und Politikwissenschaftler Heinrich Neisser. Er hat an der Ausarbeitung des Grundrechtekatalogs der EU als Beauftragter des Bundeskanzlers in Brüssel mitgearbeitet.

Dass sich der in Straßburg angesiedelte Europarat mit der geplanten Erweiterung der Europäischen Union ad absurdum führen könnte, glaubt Neisser vorerst nicht. Nach der EU sei der Europarat der zweite konzentrische Kreis, und in der gegenwärtigen Situation habe er noch eine wichtige Funktion. Es handle sich um zwei verschiedene Systeme, die auch respektiert würden. Über seine Zukunft sollte der Staatenverbund aber sehr wohl nachdenken, so Neisser. Die 50 Jahre alte Menschenrechtskonvention sei "damals revolutionär" gewesen. Mittlerweile müsste dieser Katalog aber modernisiert werden. "Da ist manches nicht mehr zeitgemäß", etwa soziale Grundrechte und Maßnahmen zum Datenschutz fehlten aus heutiger Sicht.

Hier kann sich der Europarat etwas von den Grundrechten der EU-Charta abschauen, die - wenn auch noch nicht rechtsverbindlich - letztlich doch ein Kompromisspapier darstellt. Ob es zu Kollissionen zwischen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der EU-Grundrechtscharta kommen könnte? Das Verhältnis sei jetzt schon problematisch, konstatiert ÖIIP-Experte Luif. Aber: "Die EU sitzt am längeren Ast." Die im Dezember verabschiedete EU-Charta deckt sich großteils mit der Menschenrechtskonvention des Europarates, betrifft aber nur die EU-Institutionen. Im Übrigen erwartet Europarats-Generalsekretär Schwimmer keine Konflikte zwischen dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg und dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg (EGMR) bei der Auslegung der EU-Grundrechtscharta. Er kann sich eine gute Zusammenarbeit zwischen dem EuGH und dem EGMR vorstellen. So könnte der EuGH das Straßburger Gericht etwa um eine verbindliche Stellungnahme zu einem Fall ersuchen, bevor er sein Urteil spreche. Der EuGH habe bereits zu verstehen gegeben, dass er mit dieser Arbeitsteilung leben könne. Probleme sieht Schwimmer eher bei der Umsetzung der Urteile.

Eine der wichtigsten Aufgaben des EuGH sind Vorabentscheidungen zur Auslegung des EU-Rechts, die von nationalen Gerichten angefragt werden. Die Vorabentscheidungen sind verbindlich für die nationalen Gerichte.

Die Menschenrechtskonvention soll ein Zusatzprotokoll zum Minderheitenschutz erhalten; die bestehende Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten soll dahingehend erweitert werden, dass der Menschenrechtsgerichtshof die Zuständigkeit über deren Auslegung erhält.

"Der Europarat muss sich neu finden", meint der Politologe Walter Hämmerle. Sie sei nur sporadisch in der Öffentlichkeit vorhanden. Dass der Staatenverbund mit mehr Konstanz auftritt, wünscht sich auch Heinrich Neisser.

In der Tat wird etwa der Bericht über die Situation der Menschenrechte von "amnesty international" mit größerer Spannung erwartet als ein Bericht des Europarats.

"Wir müssen die Komplettierung eines größeren Europa auf der Grundlage der Werte des Europarates vorbereiten", sagt Schwimmer. Die tägliche Arbeit des Europarats wie die Wiederherstellung der Demokratie im Kosovo oder die Achtung der Menschenrechte in Tschetschenien müsse mit einem klaren Mandat zum Schutz der Menschenrechte in allen europäischen Staaten einhergehen, so Schwimmer.

Kommunales Wahlrecht als Menschenrecht

Unter dem Hinweis auf die Menschenrechte hat der Europarat zuletzt auch empfohlen, Immigranten das aktive und passive kommunale Wahlrecht zu gewähren. Das kommunale Wahlrecht solle für Ausländer gelten, sobald sie mindestens drei Jahre in einem Mitgliedsland gelebt haben. Die Begründung für den Vorschlag aus dem Europarat: Die Anzahl der in den Europarats-Mitgliedsländern lebenden Ausländern steige; diese stellten "einen bereichernden und positiven Faktor für unsere Gesellschaften" dar. Hier ist auch Österreich gefordert, ob es allerdings beim kommunalen Wahlrecht nachziehen wird, bleibt abzuwarten.

*

Der Europarat ist im Internet erreichbar unter:

"www. coe.int".

Informationen zum "Europäischen Jahr der Sprachen" gibt es unter:

"www.eurolang2001.org".