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Der ewige Kampf um Wien

Von Christoph Rella

Politik

Die Formel "Kampf um Wien" ist keine Erfindung der Freiheitlichen, auch die SPÖ und die Medien haben sie oft benutzt. Mit der Türkenbelagerung von 1683 hat die Wortschöpfung hingegen nichts zu tun.


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Am 6. August dieses Jahres öffnete Heinz-Christian Strache seine private Facebook-Seite, tippte unter sein Profilbild die Worte "Der Kampf um Wien ist eröffnet" und versah das Ganze mit einem Video, in welchem er dem Wahlvolk in Actionstarpose à la Tom Cruise baldige Rettung verspricht. Überraschend kommt das nicht. Schließlich hat der gefallene FPÖ-Chef und Vizekanzler, der nun als Obmann der Splitterpartei "Team HC Strache" für die Wiener Gemeinderatswahl am Sonntag kandidiert, mit solcherart "Kampf" schon Erfahrungen. Allein die Gegner sind seit 2004, als er FPÖ-Chef Hilmar Kabas in Wien beerbte, weitgehend dieselben geblieben - die Sozialdemokratie und der Islam.

Die Fixierung auf die SPÖ im Allgemeinen und die Türken im Besonderen wurde bereits bei Straches erstem Antreten als Spitzenkandidat in Wien am 23. Oktober 2005 sichtbar. Mit Sprüchen wie "Wien darf nicht Istanbul werden" oder "Der echte Wiener darf nicht untergehen" wurde von der FPÖ damals bewusst das Bild eines Belagerungszustandes gezeichnet und die türkische Community zum Feindbild erklärt. Überhöht wurde der "Kampf um Wien" durch die Inszenierung eines persönlichen Duells, wofür von Strache der damalige Bürgermeister Michael Häupl in den Ring geholt wurde. Der FPÖ-Chef versuchte damit die Wahlauseinandersetzung in eine sportliche Angelegenheit umzudeuten und griff diese Idee immer wieder auf - etwa vor dem Urnengang im Oktober 2010, als er bei einem Wahlevent in der Wiener Lugner City die Rednertribüne in Form eines Boxrings ausführen und darüber ein Großplakat mit der Botschaft "Ring frei! M. Häupl vs. HC Strache" anbringen ließ.

Nun ist das Schlagwort "Kampf um Wien" freilich keine Erfindung der Freiheitlichen und nur die wenigsten bringen ihn mit dem Boxsport - etwa dem gleichnamigen Event des Wettanbieters "Admiral" - in Verbindung. Befragt man Literaturlisten und Online-Suchmaschinen, so erzielt hier die Eroberung Wiens durch die sowjetische Armee 1945 die mit Abstand meisten Treffer, darüber hinaus werden gleichnamige Roman- und Bühnentitel, unter anderem von David Schalko, Hugo Bettauer und Auguste Wahrmund, angeführt. Die Belagerung Wiens 1683 durch das türkische Heer findet sich hingegen kaum unter den Einträgen. Das mag auf den ersten Blick überraschen, zielte doch die antitürkische Wahlstrategie der Wiener FPÖ offenkundig darauf ab, bei ihren Wählerinnen und Wählern genau diese Assoziation zu wecken. Geschichtlich wie definitorisch sind solche Assoziationen freilich Unfug, handelte es sich doch bei der militärischen Auseinandersetzung vor Wien um einen Belagerungs- beziehungsweise Entsatzkrieg, der durch Intervention von außen und nicht etwa im Straßenkampf beendet wurde.

"Bis zum letzten Gemeindebau"

Wenn man schon ein passendes historisches Ereignis, das diesem Szenario gerecht wird, bemühen möchte, so dient das Revolutionsjahr 1848 als gutes Beispiel. Mit den Türken hatten die Kämpfe, die - ausgehend von einem Aufstand der Wiener Bürger gegen das reaktionäre System Metternich - damals in und vor der Stadt ausgetragen wurden, freilich nichts zu tun, sondern vielmehr mit heute selbstverständlichen Werten wie Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Das Kaiserhaus, das mit solchen Forderungen naturgemäß nicht viel anfangen konnte, wurde in der Folge gleich zwei Mal aus der Reichshauptstadt vertrieben - und ließ die Armee aufmarschieren. Am 1. November 1848 war der "Kampf um Wien", wie die "Allgemeine Deutsche Zeitung" damals wörtlich meldete, zu Ende und Wien von den Truppen des Fürsten Alfred Windisch-Grätz "nach neunstündigem Barricadenkampfe" zurückerobert.

Im zivilpolitischen Kontext ist die Phrase "Kampf um Wien" hingegen neu und wurde in den vergangenen 150 Jahren von Politikern wie Medien kaum bei Wahlauseinandersetzungen verwendet. In zeitgenössischen Zeitungen findet sie lediglich mit Blick auf den Wiener Bürgermeister Karl Lueger oder die Zwischenkriegszeit, als sich Schwarze und Rote in Österreich unversöhnlich gegenüber standen, hin und wieder Erwähnung. Im Zusammenhang mit der Wien-Wahl taucht der Begriff medial erstmals in den frühen 1990er Jahren auf, etwa in einem Kommentar der "Salzburger Nachrichten" vom September 1994: "Für Heide Schmidt, deren LF (Liberales Forum, Anm.) gerade im großstädtischen Bereich ein Wählerpotential von gut zehn Prozent ausschöpfen könnte, wäre der ‚Kampf um Wien‘ eine verlockende Aufgabe. Mit Zähnen und Klauen werden Häupl & Co. versuchen, das ‚Rote Wien‘ bis zur letzten Gemeindebaustiege zu verteidigen. Wie ein Berserker wird Jörg Haider dagegen anrennen. Da werden die Fetzen fliegen, Bürgerliche, Liberale, Grüne können in den Stadt-Nischen in Deckung gehen."

Es ist dies bereits eine martialische Sprache, an der aber sowohl die Parteien wie auch die Medien bald ihren Gefallen fanden. Die FPÖ machte sie sich zu eigen, aber auch kleinere Parteien wie der BZÖ-Ableger Freies Bündnis Zukunft oder die Linkswende, die 2010 mit der Parole "Kampf um Wien: FPÖ raus aus Favoriten" in den Wahlkampf zog. Keine Berührungsängste zeigte auch die SPÖ. Als etwa FPÖ-Obmann Haider am 20. Oktober 2000 in der Wiener Stadthalle eine Wahlrede halten sollte, wurde er von der Sozialistischen Jugend mit der Parole begrüßt: "Haider kommt. Widerstand empfängt ihn. Der Kampf um Wien beginnt."

Aber auch Häupl und sein SPÖ-Chef Christian Kern sollten sich später ähnlich über HC Strache äußern. "Man schickt mich in den Krieg gegen diesen Finsterling", donnerte der Bürgermeister etwa 2008. "Okay, ich mach’ das, aber dann darf man mich nicht schimpfen, wenn ich aus einer Schlacht verschwitzt, leicht blutig und gelegentlich mit groben Worten zurückkehre." Und noch 2018 sagte er über den bevorstehenden "Kampf um Wien": "Dafür muss die Partei inhaltlich gerüstet sein und geschlossen kampffähig sein. Und wie kampffähig wir sind, das haben wir im Nationalratswahlkampf bewiesen. Wer sich mit der Wiener Sozialdemokratie anlegt, der soll sich warm anziehen."

Die Rolle der Medien

Für die Medien waren und sind solche Aussagen freilich ein gefundenes Fressen. Und so verwundert es nicht, dass der "Kampf um Wien" auch in den Redaktionen der Zeitungen und Fernsehanstalten zur beliebten Formatvorlage mutierte. So brachte etwa der TV-Sender Puls4 als einer der ersten eine Politiksendung mit dem Titel "Wahl 2010 - Der Kampf um Wien" heraus, fünf Jahre später ging mit "Der Kampf um Wien - Die Konfrontation" eine ähnliche Produktion on air. Beim Sender ATV war es wiederum der heutige ORF-Anchor Martin Thür, der mehrere Staffeln "Klartext Spezial - Der Kampf um Wien" moderierte. Die martialische Formel hingegen nie angewendet hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

Was nun den Gemeinderatswahlkampf 2020 betrifft, so ist hier angesichts der krisengeschüttelten Wiener FPÖ von Kampf und Verteidigung kaum mehr die Rede. Die Frage wird aber sein, wem das Fehlen dieser jahrelang von Politik und Medien gelebten Duell-Inszenierung am Ende des Wahltages schaden könnte. Die Wählerinnen und Wähler werden die Plattitüden wohl am wenigsten vermissen und froh sein, das leicht muffige "Und täglich grüßt das Murmeltier-Gefühl" aus dem gleichnamigen Film mit Bill Murray, der ständig denselben Tag wieder erleben muss, losgeworden zu sein. Und daran wird wohl auch HC Straches Comeback als Tom Cruise nichts ändern.