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Der ewige Todeskandidat

Von Ronald Schönhuber

Politik

Der Politaktivist Mumia Abu-Jamal wurde zur Ikone des linken Protestes. | Intellektuelle sehen 56-Jährigen als Opfer einer rassistischen US-Justiz. | Philadelphia/Wien. Wer jung und links ist, kommt kaum an dem Gesicht mit den markanten Dreadlocks vorbei. Seit fast zwei Jahrzehnten findet es sich immer wieder auf Flugblättern, T-Shirts und Transparenten.


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Im Internet ziert dieses Konterfei unzählige Seiten, die gespickt sind mit Petitionen gegen die angebliche Ungerechtigkeit des US-Justizsystems, und mittlerweile gibt es sogar auch schon einen Dreadlocks tragenden Teddybären, der genauso aussieht. Allein Che Guevara scheint da noch erfolgreicher.

Das Gesicht gehört Mumia Abu-Jamal, dem wahrscheinlich berühmtesten Todeskandidaten der Welt. Seit mehr als 29 Jahren sitzt der mittlerweile 56-Jährige im Gefängnis, verurteilt wegen Mordes an einem Polizisten in Philadelphia. In der Haft hat der ehemalige Black-Panther-Aktivist sechs Bücher geschrieben, in denen er unter anderem Einblicke über das Leben in der "Death Row" gibt, daneben verfasste er Kolumnen für die linke deutsche Tageszeitung "Junge Welt". Immer wieder gestaltete der ehemalige Radiomoderator aus seiner Zelle heraus auch Hörfunkbeiträge. Mehrere Städte, darunter Paris, Venedig, Montreal und San Francisco haben Abu-Jamal bereits zum Ehrenbürger gemacht und auch der internationale Schriftstellerverband PEN hat ihn aufgenommen. In den vergangenen Jahren setzten sich zudem Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, die Schriftsteller Salman Rushdie und Günther Grass sowie die Schauspielerin Susan Sarandon für Abu-Jamal ein.

Jury falsch instruiert?

Der Mann mit den Dreadlocks, der den Mord an dem weißen Polizisten Daniel Faulkner stets bestritten hat, gilt für seine prominenten und weniger prominenten Fürsprecher vor allem als Opfer einer rassistischen US-Justiz, die weit häufiger Schwarze verurteilt als Weiße. Dass der Staatsanwalt beim Prozess 1982 mehrere schwarze Zeugen ablehnte, kommt da gerade recht. Ebenso wie der Umstand, dass die Geschworenen damals möglicherweise fälschlich angewiesen worden waren, sie dürften beim Abwiegen der strafmildernden und erschwerenden Umstände nur einstimmig entscheiden.

Seit Dienstag steht allerdings genau das wieder auf dem Prüfstand. Der Oberste Gerichtshof der USA hatte das Berufungsgericht in Philadelphia, das zuletzt Abu-Jamals Fall verhandelte, aufgefordert, die damaligen Umstände neu zu untersuchen. Falls die drei Berufungsrichter zu dem Schluss kommen, dass die Geschworenen tatsächlich falsch instruiert worden sind und die Staatsanwaltschaft weiterhin auf der Todesstrafe besteht, könnte das eine entscheidende Wende in dem Fall bedeuten. Dann müsste der Prozess nämlich neu aufgerollt werden und die Verteidigung hätte die Möglichkeit, neue Beweise einzubringen, die ihrer Meinung nach die Unschuld Abu-Jamals untermauern. So hatte etwa ein Berufskiller vor einigen Jahren ausgesagt, Faulkner erschossen zu haben, was die US-Justiz allerdings nicht zu einer Revision des Verfahrens bewog. Ebenso wie der Umstand, dass Philadelphia in den späten 70er Jahren eine Stadt war, in der offener Rassismus herrschte und in der mehrere Polizisten verurteilt wurden, weil sie Schwarzen in ihrem Viertel systematisch falsche Beweise untergeschoben hatten.

Eine Nacht mit Rätseln

Die bisherige Beweislage spricht allerdings nicht unbedingt für Abu-Jamal. Faulkner war in den frühen Morgenstunden des 9. Dezember 1981 in einem Drogen- und Rotlichtviertel Philadelphias erschossen worden, nachdem er Abu-Jamals Bruder festnehmen wollte, weil dieser mit seinem Wagen verkehrt gegen eine Einbahnstraße gefahren war. Im Zuge der versuchten Verhaftung war es laut Augenzeugen zu einer Schlägerei gekommen. Abu-Jamal, der damals auch als Taxi-Fahrer arbeitete, dürfte dann von seinem in der Nähe geparkten Wagen zum Ort des Geschehens gerannt sein.

Kurz darauf fielen mehrere Schüsse. Faulkner brach unmittelbar darauf tot zusammen, auch Abu-Jamal wurde durch eine Kugel im Brustbereich schwer verletzt. Neben dem am Gehsteig zusammengesackten Black-Panther-Aktivisten fand die eiligst herbeigeeilte polizeiliche Verstärkung allerdings seinen leergeschossenen Revolver, zu dem die Projektile in Faulkners Körper passten.

Auch mehrere Journalisten, die ursprünglich Fürsprecher Abu-Jamals waren und über viele Jahre hinweg intensiv in dem Fall recherchierte, gehen mittlerweile von einer Schuld des 56-Jährigen aus. Der berühmte Todeskandidat hat hingegen auch den Richtern bisher nichts darüber erzählt, was in jener Nacht genau geschah. Und William Cook, der Bruder Abu-Jamals, hat seitdem lediglich erklärt, mit alldem nichts zu tun zu haben.