Zum Hauptinhalt springen

Der Faktor Mensch

Von Christian Hoffmann

Wissen

So romantisch, wie er auf der Kinoleinwand dargestellt wird, ist der Beruf des Piloten in Wahrheit nicht. Die großen Abenteuer der Pionierzeit haben mit dem modernen Alltag der Fliegerei nur noch wenig zu tun.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

"Abenteuer, Freiheit und Romantik sind ein Mythos", sagt sie. "Von den Städten und Ländern, die du anfliegst, siehst du in den knappen Turnaround-Zeiten nichts außer dem Flughafen, und wenn du mal Overnights hast, musst du zusehen, dass du zügig schlafen gehst." Diesen ernüchternden Einblick in den Alltag des Pilotenlebens, eine Zusammenfassung von zwanzig Jahren Fliegerehe, gibt die Frau eines deutschen Flugkapitäns in dem Buch "Mythos Pilot" von Judith Grohman und Dagmar Grossmann. In einem Familienleben, das sich nach Flugplänen richtet, bleibt wenig Platz für privates Glück. "Da sieht man sich manchmal wochenlang nicht. Regelmäßige Wochenenden gibt es nicht, denn auch da wird geflogen. Bei uns sieht das so aus, dass mein Mann zirka alle zehn bis 20 Tage für zwei, drei Tage zu Hause ist. Und das ist noch richtig gut, denn wir hatten auch schon Zeiten mit zehn Wochen getrennt und zwei Wochen zusammen." Ganz abgesehen davon, dass zu den Zeiten, in denen die Familie Ferien hat, in der Fliegerei Hochbetrieb herrscht.

Doch diese Nachteile des Berufs spielen für den, der ihn ergreifen will, selbstverständlich kaum eine Rolle, kennt man sie doch erst nach vielen Jahren Erfahrung. Ganz zu Anfang müssen andere Schwierigkeiten bewältigt werden. Nach strengen Eignungstests, bei denen etwa 95 Prozent der Bewerber ausgeschieden werden, muss man für die Ausbildung zum Linienpiloten bis zu 24 Monate veranschlagen und mit Kosten von 60.000 bis 100.000 Euro rechnen. Und auch danach ist es noch lange nicht selbstverständlich, dass man eine Anstellung bekommt. Nach den Angaben in "Mythos Pilot" können nur etwa zehn Prozent der qualifizierten Bewerber mit einem Platz im Cockpit rechnen.

Auch in anderer Hinsicht hat die Arbeit eines modernen Linienpiloten mit den abenteuerlichen Gestalten aus der Frühzeit der Luftfahrt nur noch wenig zu tun. Neben den technischen Fähigkeiten werden seit gut dreißig Jahren zunehmend Fähigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich trainiert. Bei der Entwicklung der Flugsicherheit wurde in den siebziger Jahren sehr deutlich, "dass der Faktor Mensch immer noch zu den Hauptfehlerquellen des Systems Luftfahrt" gehört. In Untersuchungen der Nasa wurden 80 Prozent der Unfälle auf diesen "human factor" zurückgeführt, und da der Einsatz an Menschenleben und Sachwerten in der Luftfahrt besonders hoch sind, wurde energisch in den Bereich "Crew Resource Managament (CRM)" investiert, also in den nicht-technischen Bereich der Ausbildung: Kommunikation, Teamarbeit, Umgang mit Stress. Heutzutage sind für das fliegende Personal inklusive der Piloten nicht mehr nur technische Trainingseinheiten im Flugsimulator sondern auch CRM-Trainings vorgeschrieben. So betont Chesley B. Sullenberger, der "Held vom Hudson", immer wieder, dass die Notlandung auf dem Hudson-River, die er im Jänner 2009 mit einem Airbus A-320 meisterte, nur durch die exzellente Zusammenarbeit zwischen ihm, dem Kopiloten und der restlichen Crew gelingen konnte. Ein Umstand, dem immerhin rund zweihundert Menschen ihr Leben verdanken.

Doch zeigt schon die Erwähnung des Dramas vom Hudson-River, dass die Luftfahrt immer noch vielerlei Abenteuer zu bieten hat. In den mehr als vierzig Interviews mit Piloten, die den größten Teil des Bandes ausmachen, kommt die abenteuerliche Seite der Fliegerei immer wieder zur Sprache. Zum Beispiel im Gespräch mit Hannes Arch, Kunstflugpilot und Weltmeister des Red Bull Air Race. Der begann seine Laufbahn fernab der Welt der Linienpiloten als Bergführer und Testpilot für Paraglider. "Die Aufgabe war für meine Gesundheit eine Herausforderung, erlebte ich doch jedes Mal einen Beinahe-Absturz." Mittlerweile kämpft er sich mit einer der legendären Kunstflugmaschinen vom Typ Zivko Edge 540 durch die Tore, die die Kurse der Air Races markieren. Und er fügt hinzu: "Ich bin da draußen im Flugzeug für mich ganz allein. Da gibt es keine zwanzig Entscheidungsträger und keinen Riesenkonzern, die mir sagen, wie fast schon in jedem Beruf heutzutage, was ich tun darf."

Judith Grohmann, Dagmar Grossmann: Mythos Pilot. Von Abenteurern und coolen Typen. Faszination und Alltag im Cockpit. Molden Verlag, Wien 2011; 222 Seiten Artikel erschienen am 13. Juli 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 8-9