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Der Fall Alijew: Kriminalrätsel oder nur ein kasachischer Erbfolgekrieg?

Von Harald Waiglein

Analysen

Zumindest eine gute Seite hatte die alte Sowjetunion: Sie versuchte erst gar nicht, die Repression gegen Regime-Gegner zu verschleiern oder den Eindruck zu erwecken, als gäbe es so etwas wie Meinungsfreiheit, Demokratie und unabhängige Justiz. Motive und Vorgangsweisen der Sowjetführung waren immer relativ transparent.


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Ganz anders sieht es heute in einigen Nachfolge-Staaten der Sowjetunion aus - unter anderem im erdölreichen Kasachstan, dem neuntgrößten Land der Welt. In der Verfassung sind Meinungsfreiheit, freie Wahlen und Unabhängigkeit der Justiz festgeschrieben, das Land selbst präsentiert sich als moderner Wirtschaftsstandort mit Ambitionen, in ferner Zukunft vielleicht sogar einmal der EU beitreten zu können.

In der Realität gleicht Kasachstan eher einer Monarchie, in der verschiedene Adelshäuser auf für Außenseiter völlig undurchsichtige Weise um Macht und Einfluss intrigieren. An der Spitze steht Präsident Nursultan Nasarbajew. Seit der Unabhängigkeit Kasachstans ist er Präsident. Bereits dreimal hat er die Verfassung ändern lassen, um sein vorgeblich demokratisches Mandat weiter ausüben zu können. Die letzte Änderung gab es vor zwei Wochen. Nun kann Nasarbajew Präsident auf Lebenszeit bleiben, statt im Jahr 2012 abzutreten.

Nasarbajew hat drei Töchter: Dariga, Dinara und Alija. Zumindest Dariga und Dinara haben Ehemänner, die innenpolitische Ambitionen haben. Darigas Ehemann Rachat Alijew war früher stellvertretender Geheimdienstchef. Niemand weiß genau, warum er 2001 von diesem Posten zurücktreten musste und als Botschafter nach Wien versetzt wurde. Gerüchteweise war er einigen in Kasachstan zu ehrgeizig geworden.

Zum Beispiel Timur Kulibajew, dem Chef der staatlichen Ölgesellschaft Kazmunaigas. Kulibajew ist mit Dinara, der zweitältesten Tochter Nasarbajews verheiratet. Die beiden Schwiegersöhne sind erbitterte Rivalen. Als im Vorjahr der Oppositionspolitiker Altynbek Sarsenbajew ermordet wurde, dürften beide Clans versucht haben, dem jeweils anderen eine Verwicklung in den Mord zuzuschreiben.

Als Rachat Alijew vor zwei Wochen jene Gesetzesänderung kritisierte, die Nasarbajew die Präsidentschaft auf Lebenszeit ermöglichte, überschlugen sich plötzlich die Ereignisse. Er wurde von seinem Posten abberufen, Mord und Kidnapping werden ihm vorgeworfen, ein Auslieferungsbegehren folgte.

Ob an den Vorwürfen etwas dran ist, ist von außen schwer zu beurteilen. Der zeitliche Zusammenhang mit den Ereignissen in Kasachstan dürfte jedoch kaum ein Zufall sein. Es wäre allerdings falsch, Alijew als demokratischen Oppositionellen zu betrachten: Erst im Vorjahr meinte er in einem Interview, eine Erbmonarchie wäre für Kasachstan die ideale Staatsform. Seite 6