Zum Hauptinhalt springen

Der Fall des Eisernen Vorhangs: Entscheidende Persönlichkeiten und feiernde Trittbrettfahrer

Von Michael Schmölzer

Analysen

Die in der heißen Phase des Wahlkampfs befindliche deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat sich das Ereignis ebenso wenig entgehen lassen wie Carl Bildt, Außenminister des EU-Vorsitzlandes Schweden. | Am Mittwoch wurde eine schlichte Wiese an der österreichisch-ungarischen Grenze zum Podium für Polit-Prominenz. Dort feierte man bei sengender Hitze die 20. Wiederkehr des legendären Paneuropa-Picknicks, im Zuge dessen mehr als 600 DDR-Bürger aus dem Urlaub in die Freiheit flüchteten, den Eisernen Vorhang überwanden und nach Österreich strömten.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Anlässlich des Gedenkjahres wurden bereits Österreichs Ex-Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn gebührend erwähnt, die im Juni 1989 in einer symbolträchtigen Aktion den Stacheldraht zwischen Ungarn und Österreich durchschnitten hatten. Auch gerieten die Habsburger und ihre Rolle bei der Organisation des Paneuropa-Picknicks in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit.

Zahlreiche Persönlichkeiten versuchen, als damals maßgeblich an den Geschehnissen beteiligte Personen in die Geschichte einzugehen. Dabei gerät in Vergessenheit, welche Umstände tatsächlich für den Fall des Eisernen Vorhangs sorgten, der im Fall der Berliner Mauer gipfelte.

Von entscheidender Bedeutung für die Ereignisse - darauf weist etwa der österreichische Politologe Peter Pelinka hin - war die erfolgreiche Befreiungsbewegung in Polen, dem wichtigsten Verbündeten der damaligen UdSSR. Dort erlitten die Kommunisten bei freien Wahlen eine schwere Niederlage, und ein anti-kommunistischer Dissident, nämlich Tadeusz Mazowiecki, bildete die Regierung - ein unerhörtes Ereignis. Nachdem die Sowjetunion nicht wie zuvor schon 1956 in Ungarn und 1968 in der CSSR eingriff, war für die übrigen Länder des Warschauer Paktes klar, dass auch sie nun Ähnliches wagen konnten.

Im Falle Ungarns waren es die Reformkommunisten, die sich gegen die KP-Hardliner durchsetzten und den Weg zur Grenzöffnung ebneten. Diese Kräfte waren entschlossen, Schritte in Richtung Rechtsstaat und Abschaffung des Einparteiensystems zu setzen. Imre Pozsgay, Politbüro-Mitglied und Staatssekretär, widersprach der bisherigen sakrosankten Parteilinie: Die Ereignisse des Oktobers 1956 seien ein Volksaufstand und nicht - wie bis dahin von der KP behauptet - eine Konterrevolution gewesen. Die Partei habe ihre Macht auf der Basis einer "historischen Lüge" ausgeübt. Die Legitimität der KP war erschüttert, ein Erneuerungsprozess hatte nun eine breite Basis.

Nicht unerheblich war auch die Rolle Michail Gorbatschows, ohne den, wie Historiker betonen, der weitgehend friedlich Zerfall des Sowjet-Imperiums nicht möglich gewesen wäre. Zur Erinnerung: Gorbatschow wurde 1985 Generalsekretär der KPdSU, seine Amtszeit war von verzweifelten Versuchen geprägt, das Sowjet-System zu reformieren. Mittels Glasnost und Perestroika war er bemüht, Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zu modernisieren - bis ihm die Situation entglitt.

Was aber an seiner Rolle an der Wende 1989 nichts ändert. Politologe Pelinka macht darauf aufmerksam, dass ohne die Person Gorbatschow die Reformer etwa in Ungarn niemals die Möglichkeit gehabt hätten, die Weichen in Richtung Fall des Eisernen Vorhangs zu stellen.