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Der Fall Kampusch wird gargekocht

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Die neuen Ermittlungsbemühungen müssten allmählich konkrete Ergebnisse bringen. Oder soll das Kapitalverbrechen als unendliche Mysterienstory enden?


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Die den Internet-Usern vom ORF bereitgestellte "TV-Thek" hat eine praktische Nebenwirkung. Sie erlaubt dem Veranstalter, Zugriffe auf ORF-Sendungen zu zählen. Das Interview mit dem einstigen Entführungsopfer Natascha Kampusch lag vorige Woche im Spitzenfeld.

Das Interesse des Publikums ist also hoch und wird weiter teilbefriedigt werden. Im Jänner will die deutsche ARD einen Film mit erstmaligen Aufnahmen aus dem Kellerverlies in Strasshof ausstrahlen. Der Film wird von ZDF Enterprise international vermarktet, und Kampusch ist an den Erträgen beteiligt, wie die "Wiener Zeitung" bereits vor mehr als einem Monat ausführlich berichtet hat.

Und als ob das zugkräftige Medienthema auch juristisch aufgeladen werden sollte, tröpfeln in regelmäßigen Abständen Neuigkeiten von Staats- und Oberstaatsanwaltschaft in einzelne Zeitungen. Seit die Wiener Oberstaatsanwaltschaft unter Beiziehung des Grazer Oberstaatsanwaltes Thomas Mühlbacher die Causa übernommen hat, ist das, was tröpfelt, dicker geworden.

Es scheint, als ob die Ermittler eine jener Spuren aufgenommen hätten, die es schon während der Gefangenschaft Kampuschs und nach ihrer Flucht am 23. August 2006 gegeben hatte. Es geht um die Frage, ob der Entführer Wolfgang Priklopil Mittäter oder zumindest Mitwisser hatte.

Zu den gravierenden Ermittlungspannen früherer Jahre gehörte etwa die nur knapp drei Monate nach Kampuschs Selbstbefreiung getroffene Entscheidung der Staatsanwaltschaft, das Ermittlungsverfahren abzuschließen. Es bedurfte eines Anstoßes der Adamovich-Evaluierungskommission, um die Verantwortlichen zum Verlassen der Hängematte zu bewegen.

Nun scheinen erste konkrete Hinweise da zu sein. Gegen Ernst H. wird offiziell ermittelt - und schon ändert er frühere Aussagen darüber, was ihm Priklopil wenige Stunden, bevor er sich vor den Zug warf, mitgeteilt hatte. Vom Anwalt kommt das Stichwort "Lebensbeichte". Das ist mit Vorsicht zu betrachten.

Aber eines muss man schon sagen: Der Entführungsfall Kampusch ist wegen des Versagens einiger Aufklärer der ersten Stunde besonders tragisch geworden. Er ist aber nicht so undurchdringlich wie etwa eine Ost-West-Spionagegeschichte vom Format des im November 2006 in London mit Polonium getöteten ehemaligen russischen Agenten Alexander Litwinow, oder der kaltblütigen Ermordung der regimekritischen Journalistin Anna Politkowskaja im selben Jahr.

In solchen Fällen darf nichts herauskommen. Und wenn in Österreich der 1958 verübte Mord hinter dem Russendenkmal an Ilona Faber seit dem Freispruch eines Verdächtigen immer wieder zu neuen, aber zwecklosen Vermutungen Anlass gibt, ist das auch kein Wunder: Es sind alle Beteiligten und Verdächtigen tot, nicht nur Ilona Faber.

Im Fall Kampusch ist nur einer tot - der Täter. Das ist zwar der Wichtigste, alle anderen aber leben noch und stehen unter dem Druck neuer Ermittlungen. So dass auch Kampusch ihre dezidierte Aussage, Priklopil sei ein Einzeltäter

gewesen, abschwächt hat: "Ich weiß nicht, ob es da Mittäter gab oder nicht."

Je länger solche schwer einzuordnenden Einzelheiten über Bildschirme und durch Zeitungen geistern, desto mehr wäre die Staatsanwaltschaft gefordert, erste Fakten offenzulegen und auch zu interpretieren. Sonst passiert, was bei Kapitalverbrechen fast immer vorkommt: Die Zahl der Wichtigmacher, Teilentmündigten oder sonstwie fixierten Menschen ist größer als jene brauchbarer Zeugen und ernsthaft Verdächtiger.