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Der Fall Medicus

Von Martyna Czarnowska

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Die Untersuchungen über illegalen Organhandel werfen ihre Schatten auf die Bemühungen des Kosovo um Rechtsstaatlichkeit.


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Es dauerte ein paar Tage, bis die Israelis die Festnahme bestätigten. Ein Polizeisprecher erklärte frühere Agenturberichte für richtig, wonach der israelische Bürger Moshe Harel und weitere Verdächtige verhaftet worden seien. Ihnen werden Straftaten zur Last gelegt, die sie fast zweitausend Kilometer von ihrer Heimat entfernt verübt haben sollen. Es geht um den Verkauf von Körperteilen lebender Menschen.

Harel wird nämlich mit der Medicus-Klinik in der kosovarischen Hauptstadt Pristina in Zusammenhang gebracht. Und dieses Spital steht im Zentrum von Untersuchungen über einen groß angelegten illegalen Organhandel. Seit dem Vorjahr ermitteln die Kosovaren gemeinsam mit der EU-Polizei- und Justizmission Eulex gegen Harel und andere Beteiligte, vorwiegend Ärzte. Auch ein türkischer Doktor befand sich unter den Verdächtigen. Die Vorwürfe reichen von illegaler Ausübung medizinischer Tätigkeit, über organisierte Kriminalität und Menschenhandel bis hin zu Betrug und Steuerhinterziehung.

Was in der Medicus-Klinik in den untersuchten Jahren 2006 bis 2008 passierte, waren Verbrechen, die keine Grenzen kannten. Menschen aus der Türkei, Russland, Moldawien, Kasachstan wurden überredet, ihre Organe zu verkaufen. Ihren Transport in den Kosovo soll auch Harel organisiert haben.

Im Krankenhaus in Pristina wurden dann mindestens 30 illegale Nieren-Transplantationen vorgenommen. Den Spendern sollen ein paar tausend Euro versprochen gewesen sein, und um ein Zigfaches teurer wurden die Organe verkauft.

Die Akte Medicus ist aber nicht die einzige. Denn es gibt noch andere Fälle von Organhandel, die derzeit im Kosovo aber auch im benachbarten Albanien untersucht werden, ebenfalls unter Eulex-Beteiligung. Eine Spezialeinheit befasst sich mit den Vorwürfen, die der frühere Europarats-Abgeordnete Dick Marty vor eineinhalb Jahren in seinem Bericht erhoben hat. Auch dabei geht es um Menschenhandel, Verschleppungen, Drogenschmuggel und illegale Transplantationen, für die Menschen entführt wurden. In das Netzwerk sollen damals, 1999 und 2000, ranghohe kosovarische Politiker eingebunden gewesen sein. Dick Marty selbst soll Mitte Juni vor Gericht aussagen.

Diese Straftaten, die für spektakuläre Schlagzeilen in den Medien sorgen, "hängen wie eine dunkle Wolke über der Region", sagt ein EU-Ermittler. Dabei müht sich Pristina, dass der junge Staat nicht nur in Zusammenhang mit Kriminalität, Korruption und Armut genannt wird. Die Regierung ist an einer Annäherung an die Europäische Union interessiert, an der Aufhebung des Visazwangs für ihre Bürger und positiven Signalen für ausländische Investoren.

Dass der Kosovo bei seinen Reformanstrengungen Fortschritte - wenn auch teils nur langsame - macht, wird auch in der EU-Kommission bestätigt. Erst vor wenigen Tagen hat Brüssel mit Pristina eine neue Gesprächsrunde eröffnet, die Erweiterungskommissar Stefan Füle "Strukturdialog" nennt. Dessen Ziel ist nichts weniger, als dem Kosovo beim Aufbau eines Rechtsstaates zu helfen.