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Der Fall Yücel hat nur Symbolkraft

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Auslandschef der "Salzburger Nachrichten".

Der Autokrat Erdogan manipuliert die Justiz, um das international düstere Image der Türkei zu verbessern.


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"Solange ich im Amt bin, wird Deniz Yücel nicht freikommen", sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im April 2017. Neun Monate später entließ er den deutschen Journalisten bedingungslos aus einjähriger Untersuchungshaft, ohne dass Anklage erhoben worden wäre. Dieser politische Schritt verblüfft, denn Erdogan hatte Yücel mehrfach krimineller Vergehen beschuldigt, ohne konkrete Beweise vorzulegen: Spionage für Deutschland als "richtiger Agent und Terrorist", geheime Kontakte zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Sekte des islamischen Predigers Fethullah Gülen, Terrorpropaganda, Volksverhetzung. Und: "Alle Journalisten in Haft sind Diebe oder Terroristen und haben Kinder missbraucht." Das ist Opium für das Volk.

Unter Ausnahmerecht kann Erdogan beliebig "alternative Fakten" erfinden, ohne auf Widerspruch zu stoßen. So sind die PKK und die Gülen-Bewegung einander spinnefeind, und Yücel fehlte das Medium, um die 75 Millionen Türken zu "verhetzen". Wer gegen Erdogan aufmuckt, wird eben wie derzeit 50.000 Personen und 150 Journalisten inhaftiert oder verliert wie fast 4000 Beamte seinen Job. Das verkauft Erdogan dem Volk als "Schutz gegen Terroristen und Verschwörer".

Dass als plakativen Kontrast zu Yücels Freilassung ein türkisches Gericht drei prominente türkische Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilte, wiegt besonders schwer, weil das türkische Höchstgericht zuvor deren Entlassung aus der U-Haft verfügt hatte, da sie gegen Gesetze verstoße. Auf Anweisung der Politik hob ein untergeordnetes Gericht diese Entscheidung auf, obwohl Entscheidungen des Höchstgerichts nach Artikel 153 der Verfassung unanfechtbar sind. Erdogan behauptet trotzdem: "Unsere Justiz ist unabhängiger als die deutsche."

Premier Binali Yildirim erklärte am Wochenende während der Münchner Sicherheitskonferenz: "Die Türkei ist ein Rechtsstaat. In Rechtsstaaten entscheiden die Gerichte über die Prozesse." Yücels Freilassung habe wohl "einige Probleme in den deutsch-türkischen Beziehungen der jüngsten Zeit gelöst". Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel sah darin eine Chance, Gespräche über grundsätzliche Fragen zwischen Türkei, EU und Deutschland wieder in Gang zu bringen.

Der Rahmen für Kontakte zwischen einer rechtsstaatlichen Demokratie und dem mit Ausnahmerecht regierenden Erdogan ist sehr eng. Allerdings muss sich Erdogan in eineinhalb Jahren der Wiederwahl stellen. Und für einen Erfolg braucht er auch Investitionen aus Deutschland und viele deutsche Touristen. Politische Gewitterschwüle schreckt beides ab und schlüge gerade im Tourismus auf den türkischen Arbeitsmarkt durch. Und das international miserable Image Erdogans ist auch kein Wahlschlager.

Bei allen Kontakten mit Deutschland hat er aber einen taktischen Vorteil: Sanktionen träfen sein Volk und nicht die Regierenden, die Rückschläge beliebiger Art als Angriff auf das Volk umdeuten und so Loyalität sicherstellen könnten. Die Freilassung Yücels ist also kaum mehr als ein symbolischer Akt, der allerdings das Klima etwas mildert und der Diplomatie Chancen eröffnet. Das hat in den 1980ern mit der deutschen Ostpolitik Früchte getragen.