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Der Fall Josef Schulz beschäftigte jahrzehntelang Presse und Behörden.
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Seit den frühen Sechzigerjahren tauchte in jugoslawischen und in deutschen Medien immer wieder die Geschichte eines Soldaten der deutschen Wehrmacht auf, der sich geweigert haben soll, an einer Erschießung von Partisanen teilzunehmen und daraufhin selbst erschossen wurde.
Der Fall wurde zum Thema eines jugoslawischen Films, dessen Vorführung bei einem japanischen Filmfestival zu diplomatischen Verstimmungen zwischen Belgrad und Bonn führte. Er geisterte in den Siebzigerjahren, als ein Streit um ein von einer lokalen Dichterin errichtetes Denkmal für den Gefreiten Josef Schulz in Serbien die Behörden beschäftigte, durch die europäische Presse. Und der Fall Schulz wurde von Ewiggestrigen als Beispiel für den Befehlsnotstand angeführt, dem sich Wehrmachtsangehörige ausgesetzt gesehen hätten.
Aus ebendiesem Grund hatte bereits in den Sechzigerjahren die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, die sich mit NS-Verbrechen beschäftigte, eine intensive Recherche gestartet. Aus den zahlreichen Befragungen in mehreren deutschen Bundesländern und in Wien, wo der Standortsarzt der betroffenen Heeresabteilung damals lebte, ergab sich, dass es wohl am 20. Juli 1941 eine Erschießung von 16 Partisanen in der Ortschaft Smederevska Palanka gegeben hat, dass der Soldat Josef Schulz aber bereits am Tag zuvor bei einem Partisanenüberfall tödliche Verletzungen erlitten hatte.
Michael Martens, ein Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der von 2002 bis 2009 in Belgrad stationiert war, ist der verschlungenen Geschichte rund um Josef Schulz und seines Mythos nachgegangen und hat seine Recherchen in eine spannende Dokumentation verpackt, die sich wie ein Krimi liest. Danach hat ein serbischer Publizist namens Vasa Kazimirovic nach dem Krieg Fotos von der Erschießung in Umlauf gebracht.
Ein Hinterbänkler aus dem deutschen Bundestag, der SPD-Abgeordnete Wilderich Ostman von der Leye, glaubte in einem der Männer auf dem Bild Josef Schulz ausgeforscht zu haben und reichte daraufhin im Bonner Gemeinderat den Antrag auf eine Straßenbenennung ein. In Smederevska Palanka meldeten sich angebliche Augenzeugen der Erschießung. Einer davon - in der Gemeinde für Tourismusfragen zuständig - glaubte, mit einem Denkmal für Schulz den Fremdenverkehr fördern zu können. Aus diesem seltsamen Gemisch entstand der Mythos des edlen Soldaten, der jahrzehntelang die Gemüter, die Presse und die Behörden beschäftigte.
Sachbuch
Heldensuche - Die Geschichte des Soldaten, der nicht töten wollte
Michael Martens, Paul Zsolnay Verlag, 399 Seiten, 25,60 Euro