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Der Färöer-Moment für SPÖ und ÖVP

Von Simon Rosner

Politik

SPÖ und ÖVP haben die schlimmste Wahlniederlage in der Zweiten Republik bezogen. Und sie streiten weiter.


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Wien. Es gibt Niederlagen, die schmerzen, und solche, nach denen man sich gar nicht mehr spürt. Man kennt das aus der heimischen Fußballgeschichte: Färöer, 1990, 0:1. Oder neun Jahre später, Valencia, 0:9. Nun erlebten, wenn man so will, die beiden Regierungsparteien an diesem Sonntag im April ihren Färöer-Moment. SPÖ und ÖVP bezogen ein Wahldebakel, wie es diese Parteien in der Zweiten Republik noch nicht erlebt haben. Und wie es vor ein, zwei Jahren auch noch völlig undenkbar schien. Gemeinsam schafften die Kandidaten, Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP), nicht nur keine absolute, sondern nicht einmal mehr eine relative Mehrheit.

Niederlagen, die in ihrer Dimension nicht für möglich gehalten wurden, stellen fast immer eine Zäsur dar. Spätestens wenn alles kaputt ist, ist jedem klar ist, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Wie 1990 auf den Färöern. Wenn man gegen solche Hobby-Kicker verliert, reicht ein bisschen Nachjustieren nicht mehr, da braucht es einen grundsätzlichen Neuaufbau.

Macht also der Mai nun alles neu in der Regierung? Diesbezügliche Ankündigungen kamen aus beiden Lagern. Es brauche einen "Relaunch der Arbeit", sagte ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner. Für Bundeskanzler Werner Faymann war es eine "klare Warnung an die Regierung", wie er erklärte: "Die Konsequenz ist, hart zu arbeiten."

Doch schon am Wahlabend waren wieder Dissonanzen und kleine Spitzen zu vernehmen. Etwa als ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka auf die "explodierende Kosten" bei der Mindestsicherung verwies - ein absolutes Streitthema mit der SPÖ.

Was beide Parteien ausschlossen, sind personelle Konsequenzen. Für Montag waren auch keine Sitzungen der Parteien anberaumt. Die Bundesgeschäftsführer - Gerhard Schmid bei der SPÖ, Peter McDonald bei der ÖVP - nicht noch nicht lange im Amt, und außerdem wurden erst kürzlich die Regierungsteams neu aufgestellt. Bei der ÖVP hat Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mit Niederösterreichs Finanzlandesrat Wolfgang Sobotoka Posten getauscht, die SPÖ holte Hans Peter Doskozil in die Regierung, als Sozialminister Rudolf Hundstorfer zum Kandidaten wurde.

Griss hatte SPÖ und ÖVPKandidatur angeboten

Immerhin ist der Koalition erspart geblieben, dass einer der Kandidaten deutlich besser als der andere abgeschnitten hat oder sogar in die Stichwahl eingezogen ist. So ist geteiltes Leid halbes Leid. Oder gar ein bisschen Schadenfreud’? Schließlich kann man sich dem Eindruck nicht ganz erwehren, dass SPÖ und ÖVP ihre täglichen kleinen Freuden in erster Linie aus dem Ärgern des Koalitionsrivalen generieren.

Die zwei Regierungsparteien hätten es freilich auch ganz anders haben können. Zumindest theoretisch. Denn zu Weihnachten 2014 hatte Irmgard Griss in einem Interview mit der "Kronen Zeitung" bekannt, dass sie "darüber nachdenken" würde, für das Bundespräsidentenamt zu kandidieren, wenn sich SPÖ und ÖVP auf sie als unabhängige Kandidatin einigen würden. Diese Chance ließen die beiden Regierungsparteien aber aus, auch wenn es Spekulation wäre, wie Griss dann abgeschnitten hätte.

Damals hat es natürlich für beide Parteien gute Gründe gegeben, dieses Angebot von Griss nicht anzunehmen. Die SPÖ hätte sich inhaltlich mit der ehemaligen Richterin schwer getan, zumindest schwerer als die ÖVP. Bei der Volkspartei war es wiederum zu diesem Zeitpunkt ein offenes Geheimnis, dass Erwin Pröll mit einem Antreten liebäugelt. Er hätte es wohl als besonders unfreundlichen Akt der Bundespartei empfunden, wenn diese eine Kandidatur von Griss unterstützt hätte.

Sich auf eine gemeinsame Bewerbung einer deklariert unabhängigen (und damit kaum steuerbaren) Kandidatin zu einigen, wäre einerseits ein Risiko gewesen und außerdem als Quasi-Eingeständnis gewertet worden, dass beide Parteien kein adäquates Personal für das Amt parat haben und deshalb einer Kandidatin von außen bedürfen. Damals also, im Dezember 2014, sprach so gut wie gar nichts für diese Variante.

Nun aber haben Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol deutlich weniger Stimmen gesammelt als Griss und sogar zusammengerechnet weniger als Wahlsieger Norbert Hofer. Schwer vorstellbar, dass SPÖ und ÖVP am Montag einfach zur Tagesordnung übergehen werden. Nur wenige Minuten nach der ersten Hochrechnung schrieb Tanja Wehsely, stellvertretende Klubchefin der SPÖ im Wiener Gemeinderat, vieldeutig auf Facebook: "Keine Konsequenzen?"

Klar ist, dass dieses Resultat die innenparteilichen Konflikte in beiden Parteien befeuern wird. Aus den Bundesländern hagelte es Kritik, auch in Richtung der Regierung. Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll erklärte das Wahlergebnis als "deutliches Zeichen" für acht Jahre "Faymann-Politik des Verschleppens, Verzögerns und Wegduckens". Auch das eine bewusste Stichelei unter Regierungspartnern.

Kein Personalwechsel, aberRichtungsstreit

Das Ergebnis wird zwar auch die Parteichefs nicht stärken, dennoch ist eine Ablöse von Faymann oder Mitterlehner nicht wahrscheinlich. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid schloss personelle Konsequenzen jedenfalls aus, es werde inhaltliche Neuerungen geben, sagte er. Die SPÖ habe bereits vor geraumer Zeit einen Veränderungsprozess gestartet, so stehe das neue Parteiprogramm kurz vor der Präsentation. "Diese Prozesse werden wir mit Nachdruck fortsetzen."

Die inhaltliche Positionierung in der Flüchtlingsfrage und das Verhältnis zur FPÖ werden beide Parteien in naher Zukunft noch intensiv beschäftigen, vor allem die SPÖ, in der es mittlerweile nicht zu übersehende Gräben gibt. Die klare Ablehnung der FPÖ, die jahrzehntelang Konsens in der SPÖ war, ist jedenfalls mit Rot-Blau im Burgenland Geschichte. Zwar hat Hundstorfer dort besser abschnitten als landesweit, anderseits hat Norbert Hofer mit deutlich über 40 Prozent auch überproportional gewonnen. In Wien wiederum liegt Van der Bellen voran - der Koalitionspartner der SPÖ in der Hauptstadt.

Die Frage ist, ob die Zusammenarbeit mit der FPÖ und das Übernehmen einiger ihrer Forderungen die Grenzen in Richtung FPÖ öffnet. Man geht zum Schmied und nicht zum Schmiedl - das ist eine der Thesen, die am Sonntag gewälzt wurden.

Im Burgenland und Oberöstereich sind die Freiheitlichen bereits in der Regierung, jedoch nur als Juniorpartner. Das wäre auf Bundesebene im Fall einer Neuwahl derzeit nicht so. Die Sonntagsfrage zeigt seit Monaten die FPÖ klar voran, jenseits der 30 Prozent. Und angesichts des Wahlergebnisses von Hofer lässt sich sogar vermuten, dass ein Ergebnis bei 40 Prozent oder darüber realistisch wäre.

Das bedingt, dass es nicht im Interesse der Regierungsparteien liegen kann, Neuwahlen auszurufen. Denn zu Gewinnen gibt es für SPÖ und ÖVP derzeit nichts. Was ihnen nur bleibt, ist die Hoffnung, dass sich das Klima bis 2018, dem Ende der aktuellen Legislaturperiode, ändert. Irgendwie. Unklar ist, warum das passieren soll. Zumindest am Sonntag gab es dazu auch keine neuen Hinweise.