Schon die Vorfahren des Menschen gingen stets auf zwei Beinen. | Berlin. Es ist erstaunlich, was Wissenschafter alles aus einem einzigen, sechs Zentimeter langen Knochen herauslesen: Schon vor 3,2 Millionen Jahren hatten Frühmenschen der Art Australopithecus afarensis das Leben in den Bäumen aufgegeben und liefen auf zwei Beinen durch Wald und Savanne.
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Carol Ward von der University of Missouri schließt das gemeinsam mit Donald Johanson und William Kimbel von der Arizona State University aus einem Mittelfußknochen, der im Boden Äthiopiens begraben war.
Bereits 1974 katapultierten die Medien Johanson in den Bekanntheitsgrad eines Rockstars, als er am Awash-Fluss in Äthiopien die gut erhaltenen Überreste eines Individuums der Art Australopithecus afarensis ausgrub. Nach dem Beatles-Song "Lucy in the Sky With Diamonds", den die Forscher auf einer spontanen Feier am gleichen Abend unter dem Sternenhimmel Äthiopiens aus dem Kassettenrekorder hörten und mitsangen, gaben sie dem Frühmenschen den Spitznamen "Lucy". Analysen bewiesen dann zusammen mit 3,6 Millionen Jahre alten Fußspuren in Vulkanasche, dass diese Art aufrecht ging.
Lucy hatte also einen entscheidenden Meilenstein auf dem Weg zum modernen Menschen hinter sich. Dennoch tobte bis heute ein Streit unter Forschern, ob Australopithecus afarensis nicht nur als Zweibeiner auf dem Boden lief, sondern sich auch noch ähnlich geschickt durch das Geäst des Regenwaldes hangelte wie Schimpansen heute. Schließlich haben alle diese Arten einen gemeinsamen Vorfahren, der vor rund fünf oder sechs Millionen Jahren lebte.
Nur der Fuß eines Australopithecus afarensis konnte den Streit endgültig schlichten. Bei Lucy aber fehlten die Fußknochen. Bis im Jahr 2000 Ausgräber am Awash-Fluss in Äthiopien einen sechs Zentimeter langen Mittelfußknochen fanden, der den vierten Zeh des linken Fußes mit der Ferse verbindet. Ward, Kimbel und Johanson analysierten das Überbleibsel und melden nun die Entscheidung zugunsten des ausschließlichen aufrechten Gangs.
Der Knochen ähnelt nämlich dem eines modernen Joggers viel mehr als jenem eines durchs Kronendach kletternden Schimpansen. So sind die beiden Enden des Mittelfußknochens bei Mensch und Lucy um 18 und 17 Grad gegeneinander verdreht, bei Schimpansen und Gorillas aber sind es nur zwei Grad. Die deutliche Verdrehung trägt entscheidend zur Bildung des Fußgewölbes bei: Beim Laufen wird das Gewicht eines Menschen von der Ferse, der Fuß-Außenseite, den Fußballen und den Zehen getragen, während die Innenseite des Fußes eine Kuhle bildet und nicht aufsetzt.
Genau dieses Fußgewölbe gibt dem modernen Menschen seinen federnden und damit energiesparenden Gang, wirkt beim Auftreten als Stoßdämpfer und ist doch so steif, dass der Fuß sich kräftig vom Boden abstoßen und damit den Zweibeiner enorm beschleunigen kann. Der Preis: Mit dem neuen Fußdesign ging Lucys Fähigkeit verloren, mit dem großen Zeh einen Ast zu umklammern.