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Am Sonntag steht die deutsche Bundespräsidentenwahl an. Bis Donnerstag sah alles nach einem Routineereignis mit kalkulierbarem Ausgang aus: Aufgrund der Oppositionsmehrheit in der Bundesversammlung, die ja den Bundespräsidenten wählt, stand der CDU-Kandidat und bisherige Chef des Internationalen Währungsfonds, Horst Köhler, bereits als Sieger fest. Die Tatsache, dass die CDU Baden-Württemberg einen ehemaligen NS-Marinerichter als Wahlmann entsandte, hat nun im Vorfeld zu unkalkulierbaren Turbulenzen geführt.
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Zwar bleibt es äußerst unwahrscheinlich, dass die SPD-Kandidatin Gesine Schwan das Ruder noch herumreißen kann, da CDU, CSU und FDP in der Bundesversammlung 19 Stimmen mehr als die notwendige absolute Mehrheit (603) haben, dennoch fürchtet die Opposition, dass der eine oder andere von ihr entsandte Wahlmann (großteils bekannte Persönlichkeiten, die sich nicht unbedingt der Parteidisziplin unterordnen) es sich wegen der Person Hans Filbingers noch überlegen könnte.
Der 90-Jährige, den die CDU Baden-Württemberg nun als Wahlmann nach Berlin schickt, hatte als Marinerichter während des Hitlerregimes vier Todesurteile gegen Deserteure unterzeichnet. 1978 musste er als baden-württembergische Ministerpräsident zurückgetreten, weil er seine Beteiligung an den Verbrechen mit dem Satz verteidigte: "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein".
Dass sich Köhler von einem solchen NS-Schergen ins höchste Amt des Staates wählen lasst, hat bei vielen Deutschen, nicht verwunderlich, heftige Kritik ausgelöst. Der Dramatiker Rolf Hochhuth meinte, Köhler stelle sich auf eine Stufe mit Filbinger, wenn er sich "von einem Soldatenmörder ins Amt hieven lasse". Und selbst die Bundes-Union räumte bereits ein, dass dessen Vergangenheit äußerst problematisch sei.
Zugleich zeigte sich CDU-Chefin Angela Merkel aber verwundert, dass Filbingers Rolle in der NS-Zeit gerade vor dieser Bundesversammlung in Erinnerung gerufen wird und erinnerte daran, dass er schließlich habe schon sechs Mal, zuletzt bei der Wahl vom scheidenden Bundespräsidenten Johannes Rau 1999, als Wahlmann der CDU seine Stimme abgegeben habe. Filbingers Nominierung stehe zudem schon seit Wochen fest, rechtfertigte sie sich. Einen Rückzug des 90-Jährigen lehnten CSU und CDU am Freitag ab.
Anders sieht das freilich das Regierungslager. "Ich hätte es ganz angemessen gefunden, wenn Filbinger selbst verzichtet hätte", meinte die rot-grüne Kandidatin Gesine Schwan. Als "mehr als eine Geschmacklosigkeit" kritisierte auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy die "nicht nachvollziehbare" Aufstellung Filbingers.