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Der Fluch der falschen Muttermilch

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Integrationsminister Sebastian Kurz will Migranten mit unseren Werten vertraut machen. Was, wenn sie aber ihre Werte behalten wollen?


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Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Münchner Kultusgemeinde, hat ihre Sorge angesichts der nach Bayern drängenden Migranten ohne Schnörkel formuliert: "In vielen muslimischen Ländern ist der Hass auf Israel und auf Juden selbstverständlicher, unreflektierter Teil der Erziehung und der Sozialisierung. Antisemitismus wird förmlich mit der Muttermilch aufgesogen und nicht als extrem wahrgenommen." Ganz Ähnliches gab Oskar Deutsch, Knoblochs Wiener Amtskollege, zu Protokoll. Und zwar völlig zu Recht.

Um durch diese Muttermilch verursachte interkulturelle Missverständnisse künftig hintanzuhalten, hat sich Integrationsminister Sebastian Kurz nun einen Plan ausgedacht. Wer zu uns kommt und bleiben will, soll einen eintägigen "Wertekurs" absolvieren müssen. Denn, so Kurz, die Migranten "sind mit unseren Werten nicht vertraut; es ist unsere Pflicht, sie mit unseren Werten vertraut zu machen". Ja, eh.

Nur leider geht es in Wahrheit nicht darum, sie mit unseren Werten bloß "vertraut zu machen", so wie man sich im Urlaub mit ein bisschen Spanisch vertraut macht, das man je nach Lust und Laune verwendet oder nicht. Jemanden mit Werten "vertraut machen" heißt nichts anderes, als eher unverbindlich darüber zu informieren, ein freundliches Angebot zu formulieren. Eher wenig hat "vertraut machen" hingegen mit dem alternativenlosen Durchsetzen dieser Werte zu tun. Genau das aber wird in Zukunft notwendig sein, soll die Integration dieser Migrationswelle besser gelingen als frühere derartige Bemühungen.

Dass die aus der arabisch-islamischen Welt Kommenden nicht mit unseren Werten vetraut seien, ist im Übrigen eine eher gewagte These. Denn dank Smartphones und Tablets dürften die meisten Menschen im Irak, in Syrien, in Afghanistan oder sonstwo ziemlich genau um unsere Werte wissen.

Das Problem ist nur leider, dass sie diese Werte in vielen Fällen dank der von Frau Knobloch zitierten Muttermilch nicht teilen. Wer in diesem Kulturkreis gelernt hat, dass Frauen Menschen zweiter Klasse sind, Schwule aufgehängt gehören und Juden ins Mittelmeer getrieben werden sollen, und nun nach Europa kommt, wird nicht durch irgendeine wundersame Fügung auf der langen Reise zu einem Feministen geworden sein, der die Schwulenehe super findet und Juden für Menschen wie alle anderen auch hält. Die zu uns Kommenden mit diesen Werten "vertraut machen" ist viel zu wenig und viel zu wenig selbstbewusst.

Und was, Herr Minister Kurz, machen wir mit jenen, die, mit unseren Werten im Crash-Kurs vertraut gemacht, trotzdem ihre bisherigen Werte bevorzugen, was ja ganz grundsätzlich ihr gutes Recht ist? Wünschenswert wäre, diesen Menschen zumindestens ein öffentliches, unmissverständliches und glaubwürdiges Bekenntnis dazu abzuverlangen, dass bei uns das Recht über der Religion steht, keine Religion über einer anderen sein kann, Männer und Frauen gleichberechtigt sind, Schwule zu respektieren und Juden Bürger wie sie selbst sind. Ein derartiges Bekenntnis, gut sichtbar - Internet, Social Media - für die jeweilige ethnische Community, den Clan und die Familie des Betreffenden, wäre als Voraussetzung des Bleiberechtes wesentlich besser geignet als ein unverbindliches "vertraut machen".