Zum Hauptinhalt springen

Der Fluch des rasanten Wachstums

Von David Ignatius

Kommentare
Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Die chinesische Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren massiv gewachsen - die Führung in Peking hat schon erkannt, dass dadurch eine riesige Blase entstanden ist.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der übersprudelnde Enthusiasmus vieler Analysten Chinas Wirtschaft gegenüber erscheint mir etwas realitätsfern. Sie sollten die rosarote Brille absetzen und Premier Wen Jiabao zuhören, der überraschend offen davor warnt, dass zu viel Investment und Mangel an heimischer Nachfrage eine wirtschaftliche Blase in China erzeugt haben. "Das größte Problem unserer Wirtschaft ist, dass das Wachstum labil, unausgewogen, unkoordiniert und nicht nachhaltig ist", sagte er schon im März 2007. Aber dieser Kommentar hatte ebenso viel Wirkung wie die Bedenken des früheren US-Notenbankchefs Alan Greenspan 1996 zur "irrationalen Überschwänglichkeit" an den Börsen.

Chinas Premier hat seine Warnung vorige Woche erneuert. "Wir sehen uns immer noch einer sehr komplexen Situation gegenüber", sagte er vor dem Hintergrund der globalen Rezession über die überhitzte chinesische Wirtschaft. Und er verwies dabei auf den steilen Anstieg bei den Immobilienpreisen in einigen chinesischen Städten.

Chinas Aufstieg ist eines der Wunder der modernen Wirtschaftsgeschichte. Aber die Führung in Peking weiß wohl, dass sie das Gesetz der Schwerkraft in der Wirtschaft nicht aufheben kann. Wie der Ökonom Herbert Stein schon vor Jahrzehnten bemerkte: "Wenn etwas nicht aufrechtzuerhalten ist, heißt das, es wird sich nicht halten." Ganz besonders trifft das auf das unausgewogene, exportabhängige Wachstum zu, das Chinas Aufstieg antreibt.

"Die Abhängigkeit von derart exportorientiertem Wachstum ist auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten", sagt auch Weltbankpräsident Robert Zoellick. China müsste seinen Anteil am Weltexport bis 2020 verdoppeln, um sein Acht-Prozent-Wachstum halten zu können. Das wird aber nicht möglich sein.

Kein Grund zur Aufregung, sagen die Enthusiasten des chinesischen Modells: Ein Land mit derart großen ausländischen Reserven muss sich über Verschuldung keine Sorgen machen. Allerdings sind die Reserven (größtenteils in Dollar) keineswegs das Sicherheitsnetz, das sich viele darunter vorstellen. China kann sie nicht so leicht flüssig machen, ohne sich selbst sehr zu schaden.

Die Frage lautet nicht, ob sich Chinas Wirtschaft ändern wird, sondern wie. Die optimistische Sicht der Dinge ist, dass die chinesische Führung die Investitionen und den Kreditboom drosselt und gleichzeitig den Übergang zu einer konsumorientierten Wirtschaft, die weniger abhängig von Exporten ist, schafft.

Das Ausmaß von Chinas Wachstum ist so überwältigend, dass Analysten leicht schwindlig werden kann. Im Internet findet sich eine Ankündigung, dass "China bis 2025 noch zehn Städte von der Größe New Yorks bauen wird" - die Vision eines nie versiegenden Geldstroms. Nur haben sich diese Art von Vorhersagen als untauglich erwiesen. Man erinnere sich an die Prognosen für die Sowjetunion in den 1960ern und für Japan in den 1990ern.

Die beruhigendste Tatsache in Sachen China ist, dass die Führung in Peking das Problem nicht verkennt und bereits auf die Bremse tritt. Nur um sich das Ausmaß der Überkapazität vor Augen zu halten: China ist heute imstande, mit seiner Stahlerzeugung den gesamten Bedarf der USA, Russlands, Japans und auch noch Europas zu decken. Für eine Nation mit derart starker Abhängigkeit vom Export ist der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft nicht leicht. Alle, die annehmen, dass China die USA als Supermacht der Weltwirtschaft unweigerlich verdrängen wird, wenn es nur immer weiter expandiert, sollten sich die Zahlen noch einmal genauer ansehen.

Übersetzung: Redaktion