Der Verein "Nubigena Wolkenkind" will Jugendliche für die Flüchtlingsthematik sensibilisieren.
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Wien. Wie in einem Bienenstock wuselt und brummt es im Festsaal der Wiener Berufsschule, wo mehrere Dutzend junge Erwachsene zusammengekommen sind. Dann wird es plötzlich still, alle schauen gebannt auf die Leinwand. Es ist ein beklemmender Kurzfilm, in dem ein Bub aus seinem Alltag gerissen wird. Anstatt Fußball zu spielen oder die Schulbank zu drücken, findet er sich plötzlich in einem Bürgerkrieg wieder. Die Jugendlichen der Berufsschule für Chemie, Grafik und Gestaltende Berufe (CGG) sehen das Video im Rahmen eines neuen Flüchtlingsprojekts. "Ich hatte richtig Gänsehaut. Mich macht das einfach nur traurig, dass es so etwas wirklich gibt", sagt Schülerin Jessica aus dem Publikum.
Flüchtlingen ein Gesicht geben
Mit dem Projekt "Flüchtling in Dir" will die syrisch-stämmige Initiatorin Sumaya Saghy-Abou-Harb den Blick und das Bewusstsein für die Flüchtlingsthematik an Schulen schärfen. Dafür hat sie gemeinsam mit ORF-Wetterfrau Eser Ari-Akbaba den Verein "Nubigena Wolkenkind" ins Leben gerufen, der Flüchtlinge aus aktuellen und ehemaligen Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan oder Bosnien und Serbien einlädt, im Rahmen moderierter Vorträge von ihren persönlichen Fluchterfahrungen zu erzählen. Mit dem direkten Kontakt gebe man Flüchtlingen ein Gesicht.
Entstanden ist die Idee durch eine schmerzhafte Erfahrung in Saghy-Abou-Harbs eigener Familie. Ein Cousin, als Arzt im syrischen Bürgerkrieg im Einsatz, wurde im vergangenen Jahr entführt und hingerichtet. "Die Situation der Menschen in Syrien belastet mich schon lange. Ich wusste, ich muss etwas tun", erzählt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", einem Medienpartner des Projekts.
In der Öffentlichkeit ist die Flüchtlingsthematik zunehmend zur Flüchtlingsproblematik herunter gebrochen, die von Angst vor Überfremdung und Abschottung an den Grenzen Europas dominiert wird. "Wir wissen nicht, was Menschen auf der Flucht widerfährt. Wir möchten, dass sich Jugendliche damit beschäftigen", sagt Saghy-Abou-Harbs. Gerade an Schulen sei dies von Bedeutung, "weil in diesem Alter alles beginnt", betont Ari-Akbaba.
Beim Vortrag ist unter den Jugendlichen schnell ein reflektierter Zugang zum Thema erkennbar. "Wie haben Sie es geschafft, diese Erlebnisse zu verarbeiten?", fragt ein Bursche die Vortragende Ajla Lubić, die zuvor sehr bildlich ihre Flucht aus Bosnien 1992 schilderte. Mitten in der Nacht, zu Fuß über die "grüne Grenze" nach Kroatien, mit Granaten über den Köpfen der Familie. "Ich habe gemerkt", sagt sie zur "Wiener Zeitung", "wie das Projekt auch bei mir etwas bewirkt und mir hilft, diese Erlebnisse zu verarbeiten." Der junge Ägypter Mohammed will wissen, für welche Nationalität nun das Herz in ihrer Brust schlage. Bosnien? Österreich? "Ich fühle mich wie ein Mensch", sagt Lubić. Begriffe wie ,Migrationshintergrund‘ lehnt sie ab, sie "möchte nicht wie ein Schaf abgestempelt werden".
Aufklärungsbedarf vorhanden
Dass der Versuch für einen sensiblen Umgang mit Asylsuchenden schnell in eine andere, zynische Richtung umschwenken kann, ist an Schulen genauso möglich, wie man es aus anderen Bereichen der Gesellschaft kennt. Ein Mädchen wirft ein, wie "Österreich denn dazu kommt, immer den anderen zu helfen. Als es bei uns Überflutungen gab, hat uns auch keiner geholfen." Sie gibt den vertrauten, anklagenden Ton vieler Menschen und auch Medien im Lande wieder. Aufklärungsbedarf ist vorhanden.
Einen großen Part dieser Aufgabe übernehmen natürlich die Erziehungsberechtigten. "Ich habe bei vielen Eltern meiner Freundinnen sehr oft eine feindselige Haltung gegenüber Ausländern beobachtet und verstehe das einfach nicht", erzählt Mohammed, der erst seit 2011 in Österreich lebt, in beeindruckendem Deutsch. Mit der Lage in Syrien setzt sich der 19-Jährige, der als einzige Zeitung die "Heute" liest, sehr reflektiert auseinander: "Wir müssen uns in Ländern, wo Krieg herrscht, einsetzen, Korruption beenden und versuchen, das System verändern."
"Ich freue mich sehr über den Vortrag, weil Schüler dadurch direkt die Menschen und ihre jeweiligen Flüchtlingsschicksale kennenlernen", sagt eine Lehrerin für politische Bildung an der Berufsschule im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Finanziert wird das Projekt momentan noch aus eigener Tasche der Initiatoren. Die Sponsorensuche läuft bereits, auch ein Förderungsantrag an die Stadt Wien ist in Bearbeitung. Im Herbst stellt der Stadtschulrat Wien das Projekt offiziell vor. An mangelndem Interesse der Schulen dürfte es nicht scheitern, die Idee entwickelt sich zum Selbstläufer. Lehrer hätten schon von sich aus bei Saghy-Abou-Harb für einen Vortrag angefragt.
Die perfekten Worte für die Initiative findet schließlich Unternehmensberaterin Lubić, die auch bei den Jugendlichen Anklang finden: "Ein Flüchtling ist nur kurze Zeit ein Flüchtling. Dann wird er Teil der Gesellschaft, das müssen wir unseren Kindern vermitteln."
www.nubigena-wolkenkind.at