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"Der freie Handel ist gar nicht frei"

Von Heiner Boberski

Politik
Kardinal Rodriguez Maradiaga - ein Mann mit einem gewinnenden Lächeln. kathbild

Wortführer der Kirche Lateinamerikas im WZ-Interview. | Kontinent droht in Armut, Drogen und Gewalt zu versinken.


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"Wiener Zeitung":Herr Kardinal, welche Aufgaben haben Sie nach Wien geführt? *

Oscar Andres Rodriguez Maradiaga: Ich wurde eingeladen, die Arbeit meiner Salesianer-Mitbrüder zu unterstützen - durch die Übergabe von Unterschriften an die Regierung, damit 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Entwicklungsarbeit fließen. Die Bewegung "Jugend Eine Welt" treibt diesen Prozess an. Ich hatte viele Treffen, mit dem Präsidenten, mit dem Parlamentspräsidenten, mit dem Vertreter des Bundeskanzlers. Die UNO-Millenniumsziele sind ohne Erhöhung der Mittel für Entwicklung nicht erreichbar.

Sie gelten als Kritiker der Welthandelsorganisation...

Das Problem ist ihr unterschiedliches Sprechen. Sie tritt für freien Handel ein, aber dieser freie Handel existiert nicht, vor allem für die armen Länder. Wir sind mit Beihilfen und Protektionismus reicher Länder konfrontiert. Wir können nicht exportieren, was wir wollen. Die USA liefern zum Beispiel durch Subventionen billigeren Zucker, als er bei uns erzeugt werden kann. Bananen aus Lateinamerika können in Europa nicht frei gehandelt werden. Das bedeutet, dass die armen Länder in Zukunft ärmer werden. Durch die steigenden Ölpreise werden die Dinge noch schlechter.

Haben Sie Lösungen für diese Probleme?

Sicher nicht, es ist natürlich kompliziert. Aber ich weiß, die Kriege in Irak und Afghanistan kosten Geld, Geld mit dem die Welt den Frieden und die Entwicklung vorantreiben sollte.

Bedeutet weniger Geld für Entwicklung nicht mehr Gewalt, mehr Flüchtlinge, mehr Terror? Und höhere Kosten für Sicherheitsmaßnahmen?

Davon bin ich überzeugt. Jede Stunde gehen neun Honduraner illegal nach Amerika, weil sie keine Arbeit und keine Überlebenschancen sehen. Die Leute in Südamerika sind versucht, mit Drogen zu handeln, das zerstört die Gesellschaft, die Kriminalität steigt. Das Drogengeschäft hat so viel Geld, die können die Polizei und alles kaufen. Wenn ein Polizist weniger als 100 Dollar im Monat verdient und 10.000 geboten bekommt, dann ist er blind und taub und lässt die Dinge laufen. Die jüngere Generation wird korrumpiert. Das ist in Zukunft die größte Bedrohung für die Demokratie und den Frieden.

Was tut da die Kirche?

Wir rufen das Problem laut hinaus. Wir werden von den Banden bedroht. Wir bemühen uns, die Menschen zu Demokraten zu bilden, denn Demokratie ist nicht leicht, wenn die Überlebensbedingungen in einer Gesellschaft nicht gegeben sind. Die Armen haben kaum eine Stimme, wir versuchen, ihnen eine zu geben und den Dialog zwischen den Gruppen mit dem Ziel sozialer Gerechtigkeit zu führen.

Was erwarten Sie vom Lateinamerikatreffen der EU im Jahr 2006 in Wien?

Das wird wichtig. Wien ist auch die Zentrale der Opec, der Organisation der Erdöl exportierenden Staaten. Ölpreise kann man nicht nur dem freien Markt überlassen. Die Preise ruinieren unsere Wirtschaft. Es bleibt kein Geld für Schulen, für Spitäler, obwohl wir auch große Anstrengungen unternehmen, Energie zu sparen. Ich erwarte mir mehr von den Europäern als von den USA, die sind auf ihre Kriege und die wirtschaftlichen Beziehungen zu China fixiert.

Zur Person

Oscar Andres Rodriguez Maradiaga wurde am 29. Dezember 1942 in der Hauptstadt von Honduras, Tegucigalpa, geboren. 1970 empfing er die Priesterweihe, 1978 wurde er Weihbischof in seiner Heimatstadt. Er gehört dem Orden der Salesianer Don Boscos an, studierte in El Salvador und Rom und beherrscht mehrere Sprachen. In Innsbruck erwarb er ein Diplom in Psychiatrie. Der universell gebildete Kirchenmann, der 1993 Erzbischof von Tegucigalpa und 2001 Kardinal wurde, spielt Klavier und Saxophon, besitzt aber auch den Pilotenschein.

Rodriguez Maradiaga ist aufgrund seines Charismas seit Jahren als "papabile" im Gespräch. Als Sekretär und späterer Vorsitzender des lateinamerikanischen Bischofsrates Celam lernte er die Probleme seines Kontinents und damit der Dritten Welt genau kennen. Ihn begleitet der Ruf großen sozialen Engagements. Als Schirmherr der weltweiten katholischen Entschuldungskampagne im Jahr 2000 fand er international große Beachtung.