Es ist nur eines von vielen Beispielen, und es werden ihrer laufend mehr: Es gilt Abschied zu nehmen von der herkömmlichen Vorstellung, wonach man bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen mit deren Erbringern in persönlichen Kontakt treten könne.
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Statt uns leibhaftig zu empfangen, verweisen sie uns an eine Hotline, an ein Callcenter oder an eine E-Mail-Adresse, deren wir uns doch bitteschön bedienen mögen.
Jüngster Fall dieser um sich greifenden Abschottungstendenz: die Deutsche Zentrale für Tourismus am Wiener Schubertring. Ich liebe diese hocheffiziente, mit erstklassigem Personal bestückte und mit einem großzügigen Gassenlokal ausgestattete Institution. Keine Deutschlandreise, die ich nicht mit einer Vorsprache am Schubertring 12 beginnen würde: Hier erhalte ich alle gewünschten Auskünfte, werde über verschiedenste Verkehrswege und Hotels, über Pauschalarrangements und Spezialprogramme instruiert, werde mit diversen Prospekten, Stadtplänen und Quartierlisten versorgt - da wird Reiseplanung zur reinen Freude!
Kürzlich war ich wieder einmal dort. Doch die Situation hatte sich radikal geändert: Das Büro war finster und leer, an der vormaligen Eingangstür hing ein Zettel mit dem Hinweis, man sei übersiedelt, fortan nur noch per Telefon oder E-Mail zu erreichen.
Ich rief an, um mich nach der neuen Adresse zu erkundigen. Mariahilfer Straße, antwortete die freundliche Stimme. Auf die Zusatzfrage nach der Hausnummer gab man mir - unverändert freundlich - zu verstehen, dass eine Vorsprache an der neuen Adresse nicht möglich sei, der "direkte" Publikumsverkehr sei eingestellt worden beziehungsweise werde nur noch über Telefon oder E-Mail abgewickelt (und, so schwant mir, wohl bald ausschließlich über Letzteres).
Leicht verstört gab ich meine Wünsche bekannt. Die Wünsche wurden entgegengenommen, und binnen kürzestem hatte ich die erbetene Postsendung in der Hand.
Vielen Dank, liebe Touristenzentrale (und all ihr anderen, die ihr in jüngster Zeit eure Dienste anonymisiert habt): Das Wissen, euch mit unserem leibhaftigen Erscheinen und dem Wunsch nach einem Vier-Augen-Gespräch zur Last zu fallen, schmerzt! Euer Personalaufwand mag noch so kostspielig und die neue Technik noch so rationell sein, aber die Trauer über die fortschreitende Entpersönlichung und Entfremdung - die bleibt.
Dietmar Grieser, geboren 1934, lebt als Schriftsteller und literarischer Reporter in Wien.
Demnächst erscheint sein neues Buch "Der Onkel aus Pressburg. Auf österreichischer Spurensuche in Slowakei" im Amalthea Verlag Wien.