Erinnerungen an das Ende des "Prager Frühlings" - in der Tschechoslowakei wurde damals von den Sowjets eine eigenständige Entwicklung des Kommunismus im Keim erstickt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
21. August 1968: Truppen der "Warschauer Pakt"-
Staaten fallen innert Stunden in der Tschechoslowakei ein und beenden gewaltsam den "Prager Frühling". Rasch kontrollieren Panzer und andere motorisierte Armee-Einheiten die wichtigsten Städte, Verkehrsknotenpunkte, Einrichtungen. In kurzer Zeit ist eine 600.000 Mann starke Okkupationsarmee aktiv mit der "brüderlichen Hilfe" beschäftigt, das Land vor der Konterrevolution zu schützen.
Die Vorzeichen dafür waren klar und untrüglich. Die Ideologie saß aber tief, vor allem treuen Kommunisten schien es unmöglich, dass die UdSSR der Sache des Kommunismus einen tödlichen Schlag versetzen würde durch Missachtung eigener Verträge, Verletzung der Souveränität eines kleinen Staates, zu dessen Garant sie sich gemacht hatte.
1938 - 1948 - 1968. Bedeutungsvolle Daten. 1938 wurde Hitler-Deutschland mit dem Münchner Abkommen die Aufteilung der Tschechoslowakei zugestanden (1939 folgten Invasion und Annexion). 1948 hatten die Kommunisten siegreich das Volk hinter sich. 20 Jahre später kamen just Soldaten jener Länder, in denen sie verhasst waren, unter Führung des roten Führerstaates in einem beispiellosen Einmarsch. Die Tschechoslowakei war eines der ganz wenigen Länder, wo die Sowjets nicht verhasst waren. Und sie war jenes kommunistische Land, wo der Kommunismus sich hätte eigenständig entwickeln können. Nicht zuletzt das war einer der Gründe für die Niederschlagung.
Zwei Bücher sind mir dazu in bester Erinnerung: 1965 wurde "Flötenspieler und Phantome. Eine Reise durch das Tauwetter" publiziert; der Autor, György Sebestyén, war 1956 aus Ungarn nach Österreich geflüchtet und beschrieb einfühlsam, hoch sensibel, zugleich kundig, das damalige Tauwetter in Osteuropa - wegen seiner Offenheit war er wohl bei den Linken nicht sehr geschätzt. Nach dem Einmarsch in die CSSR las ich "Die siebente Nacht" von Ladislav Mňačko, 1968 in Wien erschienen. Darin gab der überzeugte Kommunist, der nach der Niederschlagung kurz in Österreich lebte, mit tiefgründigen, kenntnisreichen Reflexionen Einblicke in das "System", in die Mentalitäten. Mňačko, bekannt durch "Wie die Macht schmeckt" oder "Die Aggressoren", liefert Bilder, die herausragend die trockenen Geschichtsdaten beleben und verdichten. Aus beiden Büchern ist, bei aufmerksamer Lektüre, mehr zu gewinnen als aus vielen anderen damaligen Produktionen.
Damals war die Devise "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" in ihrem Umkehrschluss vielen noch nicht so klar wie später. Wenn die Reformkommunisten um Alexander Dubček erst den menschlichen Kommunismus-Sozialismus anvisierten, muss der reale ein unmenschlicher gewesen sein. Kein Wunder, dass dem widersprochen wurde. Der Ruf nach Humanität war pure Konterrevolution. 21 Jahre später fand der siegreiche Realkommunismus sein Ende, ohne dass äußere Feinde ihn in einem Krieg hinweggefegt hätten, wie damals stereotype Parolen stets warnten.
Haimo L. Handl ist Politik- und Kommunikationswissenschafter.