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Erst erkämpften die Ägypter die Freiheit, dann wählten sie die Unfreiheit: kein überzeugender Hinweis auf die Vereinbarkeit von Islamismus und Demokratie.
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Vor nicht einmal einem Jahr haben im Westen zahllose Intellektuelle vor romantischer Begeisterung ergriffen geradezu hyperventiliert angesichts des Aufstands der angeblichen "Generation Facebook" auf dem Tahrir-Platz in Kairo: Mindestens der Untergang der UdSSR musste als Vergleich herhalten. Wer nicht auf der Stelle öffentlich seine Überzeugung beeidete, Islam und Demokratie seien angesichts dieser epochalen Umbrüche geradezu wie füreinander geschaffen, musste sich mit dem Stigma des hoffnungslosen Griesgrams abfinden.
Wie tragfähig diese herzige Einschätzung des arabischen Frühlings und seiner Folgen war, ließ sich nun besichtigen, als die Ägypter erstmals frei wählen durften: Fast jeder Vierte entschied sich für eine Partei (die der Salafisten), deren Funktionäre sich weigern, einer Frau auch nur die Hand zu geben. Zusammen mit den (angeblich) moderateren Moslembrüdern kommen mehr oder weniger radikale Islamisten auf fast zwei Drittel der Stimmen. Anhänger einer säkularen Demokratie nach westlichem Vorbild bilden eine Minderheit an der Grenze zur realpolitischen Irrelevanz, die außer ihren Groupies in westlichen Feuilletons kaum jemanden interessiert.
So schaut also das moderne Ägypten der "Generation Facebook" aus.
Überraschend ist das nicht. In einem Land, in dem laut fundierten demoskopischen Befunden zwei Drittel der Bevölkerung für die Steinigung von Ehebrechern sind oder den Abfall vom Islam mit der Todesstrafe pönalisieren wollen, hätte viel eher jedes andere Wahlergebnis überrascht. In einem Land, dessen Bevölkerung mehrheitlich islamistische Werte vertritt, ist eben ziemlich naheliegend, dass islamistische Parteien mehrheitsfähig sind.
Dass die Ägypter erst für die Freiheit kämpften und dann die Unfreiheit wählten, erscheint daher nur aus westlicher Sicht paradox - aus der Sicht einer Gesellschaft mit derartigen Wertvorstellungen erscheint es geradezu konsequent.
Es ist natürlich das gute Recht der Ägypter - und künftig vielleicht auch anderer arabischer Staaten -, solche Politiker zu wählen. Bloß werden die Demokratien im Westen sich recht schwertun, daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.
Denn sie werden eher früher als später entscheiden müssen: Akzeptieren sie, dass Demokratie gelegentlich eben auch Regierungen gebären kann - wie etwa islamistisch orientierte -, die dem Westen und seinen Werten skeptisch bis offen ablehnend gegenüberstehen (was im Extremfall strategische und energiepolitische Interessen des Westens und auch Israels massiv beschädigen könnte)? Oder suchen sie doch wieder, um diese Interessen zu wahren, den Pakt mit jenen Machthabern der Region, die Demokratie für entbehrlichen Luxus halten, aber dafür sogenannte Stabilität bereitstellen können (auch durch wenig zimperliche Sicherheitsapparate)? Es gibt schon jetzt Indizien dafür, dass in Ägypten der Militärrat in einer informellen Allianz mit den Muslimbrüdern künftig das Land pseudodemokratisch führen will. Die Annahme, der arabische Frühling würde direkt in einen demokratischen Rechtsstaat münden, war jedenfalls mehr Hoffnung als Wirklichkeit.
ortner@wienerzeitung.at