)
Mit den Ausgangssperren während der Corona-Krise steigt auch die häusliche Gewalt. Weltweit schlagen Frauenorganisationen Alarm - auch in Österreich.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Frau im Bezirk Baden konnte gerade noch entkommen. Ihr Mann hatte sie mitten in der Nacht im Schlaf attackiert und mit einem Holzstück krankenhausreif geprügelt. Später behauptete er, ausgerastet zu sein, weil er mit der Isolation zu Hause überfordert war. Die Frau flüchtete ins Freie, gegen den 53-Jährigen wird wegen versuchten Mordes ermittelt.
Weltweit berichten Frauenschutzorganisationen von einem Anstieg der Gewalt mit der Corona-Krise. In Italien erwürgte ein 28-Jähriger seine Freundin - weil er dachte, dass sie ihn mit dem Virus angesteckt habe, sagte er gegenüber der Polizei.
Um eine Ausbreitung von Sars-CoV-2 zu verhindern, haben die meisten Staaten Ausgangssperren verhängt. Zuhause sei der sicherste Ort, heißt es. Aber daheim zu bleiben, das kann für viele Frauen gefährlich, wenn nicht gar tödlich enden. Wer mit einem gewalttätigen Partner lebt, kann ihm derzeit kaum entkommen. Von China über Taiwan bis Deutschland und Italien - die steigenden Zahlen zu Gewalt gegen Frauen sind alarmierend.
In der chinesischen Provinz Hubei, wo das Virus seinen Ausgang nahm, haben sich in der Zeit der staatlich auferlegten Quarantäne die Anzeigen wegen häuslicher Gewalt mehr als verdreifacht. Laut Statistik haben 90 Prozent der Gewaltverbrechen in diesem Zeitraum mit der Corona-Krise zu tun. In Brasilien stiegen die Fälle häuslicher Gewalt mit Beginn der Maßnahmen um bis zu 50 Prozent, in Zypern gab es schon nach dem ersten Corona-Fall Mitte März einen 30-prozentigen Anstieg von Anrufen bei einer Hotline für von Gewalt betroffenen Frauen. In Österreich verzeichnete die Frauenhelpline seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen um 70 Prozent mehr Anrufe.
Wegweisungen steigen
Auch hier warnen Frauenschutzorganisationen vor einem Anstieg häuslicher Gewalt. Zwar gibt es dazu noch wenige Zahlen, sicher ist jedoch, dass die Wegweisungen, also die Zahl der Gewalttäter, die die gemeinsame Wohnung für mindestens zwei Wochen nicht betreten dürfen, gestiegen ist. Im Februar waren es österreichweit 874, im März bereits 971. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass noch viel mehr Frauen von Gewalt betroffen sind. Global zeigt sich - und das sagt auch die Forschung -, dass Männer in Krisenzeiten gewalttätiger werden. Hinzu kommt, dass während der Ausgangssperren die ganze Familie zusammenhockt - oft in kleinen Wohnungen. Ist der Mann die ganze Zeit da, lässt sich schwer ungestört telefonieren.
Und so sind auch die steigenden Zahlen von Anzeigen und Anrufen bei Notfallnummern wohl nur die Spitze des Eisbergs. "Wir versuchen, unser Service aufrechtzuerhalten, so gut wir können", sagt Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. So blieben die Mitarbeiterinnen in Kontakt mit den Frauen. "Viele wissen überhaupt nicht, was sie noch dürfen - und glauben etwa, sie dürfen gar nicht vor die Tür." Logar berichtet von Männern, die ihren Frauen die Handys wegnehmen, ihnen falsche Informationen geben.
"Menschen, die ohnehin schon zu Aggression neigen, werden in so einer Situation noch aggressiver", sagt Logar. Eine große Rolle spiele die Arbeitslosigkeit. In Kombination mit den Ausgangsbeschränkungen, dem Verlust von Perspektiven, gekränktem Männerstolz und Besitzdenken ergebe das eine explosive Mischung: "Der Frust wird an Frauen und Kindern ausgelassen."
Am Ende flüchten viele Opfer in Frauenhäuser. Doch auch diese stehen in Zeiten von Corona vor einer besonderen Herausforderung: Küchen und Toiletten werden oft geteilt, wer Symptome einer Erkältung hat, wird nicht aufgenommen oder muss wochenlang isoliert werden. In Deutschland kommen seit Beginn der Corona-Krise mehr Frauen in Frauenhäuser. Viele Einrichtungen waren rasch überfüllt, in Offenbach können bereits seit Wochen keine Frauen mehr aufgenommen werden.
In Österreich ist die Lage von Bundesland zu Bundesland verschieden. Damit keine Frau vor verschlossenen Türen steht, wurden Ausweichquartiere geschaffen. Die EU-Abgeordnete Evelyn Regner fordert, dass auch Hotels zur Verfügung gestellt werden - und sieht hier Finanzminister Gernot Blümel in der Pflicht. Die SPÖ-Politikerin fordert niederschwellige Maßnahmen nach dem Vorbild Spaniens: Sprechen von Gewalt betroffene Frauen das Codewort "Covid-19-Maske" in Apotheken aus, setzen sich die Pharmazeuten mit der Polizei in Verbindung.
Vereinen fehlt es an Geldern
"Die jetzige Situation ist beispiellos", sagt Maria Rösslhumer. Die Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser weist darauf hin, dass häusliche Gewalt immer dann steigt, wenn Familien mehr Zeit miteinander verbringen. Doch im Gegensatz zu Weihnachten kommen nun die Einschränkung sozialer Kontakte, die Arbeitslosigkeit und die Schließung der Gaststätten hinzu.
Mit der Corona-Krise wurde die Frauenhelpline finanziell aufgestockt, die anderen Opferschutzvereine warten noch auf Zusagen. Frauenorganisationen fordern seit Jahren mehr Geld für die Gewaltprävention. Sie bräuchten mindestens das Vierfache. Doch die Förderungen für Gleichstellung und Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen wurden zuletzt von zehn auf gerade einmal zwölf Millionen Euro erhöht. Das ist gerade einmal die Indexanpassung, weshalb das Geld eher weniger wird. "Wir waren schon vor der Corona-Krise überlastet", sagt Logar von der Interventionsstelle, deren 28 Mitarbeiterinnen rund 6000 Frauen jährlich beraten. "Dass ausgerechnet in der Gewaltprävention gespart wird, hat uns sehr enttäuscht."
Eine Krise ohne Drehbuch
Wie schlimm es wirklich ist, das wird sich erst zeigen. Viele Frauen trauen sich derzeit nicht, Gewalt zu melden - oder sie haben keine Gelegenheit dazu. Viele haben das Gefühl, das alles ertragen zu müssen - auch wegen der Kinder. Und so werden sich viele Traumata erst nach der Krise aufarbeiten lassen. Zahlreiche Frauen sind mit ihren Problemen alleine. Auch in Österreich könnte es nach dem Ende der Ausgangssperren zu einem Ansturm auf die Beratungsstellen kommen. "Das ist eine Krise ohne Drehbuch", sagt Regner. "Wir wissen nicht, was noch geschehen wird". Für Rösslhumer ist klar: "Je länger die Beschränkungen des öffentlichen Lebens anhalten, desto schwieriger wird es." Das wahre Ausmaß dieser Krise wird sich erst weisen.