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Der führerlose Dschihadist

Von Clemens Neuhold

Politik

Die Terrorgefahr steigt auch in Österreich. Die Gefahr geht dabei nicht nur von IS-Rückkehrern aus, sondern auch von "einsamen Wölfen", die nie weg waren, sagt eine Studie.


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Wien. Arid Uka fragt am Frankfurter Flughafen einen Mann nach einer Zigarette, erfährt, dass es sich bei ihm und seinen Kollegen um US-Soldaten handelt, und erschießt zwei GIs. Der bisher einzige Anschlag in Deutschland mit Toten und islamistischem Hintergrund ereignete sich im Jahr 2011.

Seit tausende "Heilige Krieger" aus Europa das Terrorregime Islamischer Staat aktiv oder ideell unterstützen, wächst am Kontinent die Angst vor dieser Art der "kleinen Operationen". Diese sind im Unterschied zu 9/11 nicht von langer Hand geplant, sondern entladen sich spontan. In Frankreich und Großbritannien wurden die Sicherheitsmaßnahmen an öffentlichen Plätzen erhöht, in Holland sind Soldaten angehalten, in der Öffentlichkeit Zivil zu tragen (was beim Frankfurter Attentat nichts geholfen hätte, die Soldaten waren in Zivil).

Salafismus als Nährboden

Auch Österreich kann sich nicht in völliger Sicherheit wähnen. Nicht nur, weil es Teil der Allianz von 50 Ländern im Kampf gegen IS ist oder 60 Austro-Dschihadisten aus dem Krieg zurückkehrten. Sondern weil sich schon lange vor der Ausrufung des IS-Kalifats in Syrien und dem Nordirak eine salafistische Szene etabliert hat, deren dschihadistischer Zweig Gewalt gegen Ungläubige verherrlicht oder propagiert.

Eine Studie über "salafistischen Extremismus", erstellt von der Landesverteidigungsakademie, hat die heimische Szene bis Mitte 2013 umfassend dokumentiert. Sukkus: Die größte Gefahr geht vom "führerlosen" oder "individuellen Dschihad" aus. Das heißt, die Einzeltäter brauchen keine direkten Kontakte zu Netzwerken wie Al-Kaida mehr. Sie "kappen die Bande zu ihrer natürlichen Gemeinschaft wie Familie, Ethnie oder Nation (...) und schließen sich einer imaginierten Gemeinschaft" an.

Voraussetzungen dafür seien die mediale Aufmerksamkeit und Medienhoheit, damit der "virtuelle" Dschihad weltweit wahrgenommen werde.

Die Gräuelvideos der IS auf Facebook, Youtube oder Twitter, die sich jeder Schüler in der großen Pause reinziehen kann, bestätigen diese These auf eindrucksvolle Weise. Dauerpräsent in den Medien ist Firas Abdullah, der seine 3000 österreichischen und deutschen Facebook-Friends aus dem IS-Kalifat zu Verbrechen in Österreich anstiftet.

Solche "Lone Wolves" können sich durchaus an Leitwölfen orientieren und ihnen über das Internet folgen. Einer dieser Leitwölfe ist der ehemalige Österreicher Mohamed Mahmoud, der seinen Pass in einem Video demonstrativ verbrannte. Davor, im Jahr 2007, war gegen ihn erstmals der Anti-Terror-Paragraf 278b erst angewandt worden, weil er zu Attentaten während der Fußball-EM 2008 aufrief. Er landete für vier Jahre hinter Gittern. 2013 geht er nach Syrien und landete in einem türkischen Gefängnis. Am Mittwoch wurde bekannt, dass er auf freiem Fuß und "abgetaucht" ist. "Es ist zu erwarten, dass Mahmoud (...) weiterhin als Leitfigur betrachtet wird. Das könnte dem salafistischen Extremismus, insbesondere in Deutschland und Österreich, weiter Vorschub leisten", heißt es in der Studie.

Salafisten stellen nur eine kleine Minderheit unter den Muslimen dar. Sie nehmen für sich in Anspruch, die unverfälschte Form des Islam zu leben und besinnen sich auf die Frühzeit des Islam. Weil gottgewollt, stellen sie das islamische Recht (Scharia) über Staat und die Demokratie.

Dieser Absolutheitsanspruch, der die Welt von A bis Z erklärt, sie in Gut und Böse, in Himmel und Hölle einteilt, könne für Migranten der zweiten und dritten Generation aber auch für Konvertiten mit Identitätskrisen anziehend wirken und ihnen Halt geben, so die Studie sinngemäß.

Die "Kuffar" mit ihrer "Shirk"

Ein Video vom Juli 2014, das der "Wiener Zeitung" vorliegt, dokumentiert diese Abwendung von der österreichischen Gesellschaft ganz gut. Eine Gruppe junger Muslime trifft sich in Wien und verbrennt Bücher. Die Szene wird mit dem Smartphone gefilmt und auf Facebook geteilt. Dazu wird der Text eingesprochen: "Wir, der Islamische Staat in Wien, wir haben hier Shirk (Vielgötterei) und Kuffar (Ungläubige) Material gefunden und wir werden es jetzt verbrennen, inshallah. Wir haben hier Bücher gefunden, in denen der Dreck von Demokratie beigebracht wird."

In Wien hat sich ein Netzwerk gegen Radikalisierung gebildet. Ziel ist die Früherkennung von Extremismus und Prävention in der Schule - wenn Nachwuchs-Salafisten nicht schon immun sind. Denn vor den Verlockungen des "Dialogs" oder der "Integration" warnen Salafisten explizit, ist in der Studie zu lesen.

Die Jungs am Video lachen am Ende kurz - ein Hoffnungsschimmer.