Kandidaten einer Partei um Wähler konkurrieren zu lassen, ist nicht ohne Risiko. In Graz hat es sich gelohnt. | Die hohe Kunst der Wahlrechtsreform besteht darin, die Spielregeln an der Urne zum eigenen Vorteil zu gestalten. Natürlich auch zum Wohl des Landes, aber das versteht sich ohnedies von selbst.
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Was uns an dieser Stelle noch einmal nach Graz führt: Gemeinhin schadet eine niedrige Wahlbeteiligung erstens dem Favoriten und zweitens dem Stimmenstärksten. Belege für diese Hypothese finden sich sonder Zahl. Nur in Graz war alles anders: Ausgerechnet der haushohe Favorit, die ÖVP, konnte hier bei mageren 58 Prozent Wahlbeteiligung 2,25 Prozent zulegen.
Bei den Nachwahlanalysen blieben die meisten Kommentatoren bei der eigenartigen Rolle hängen, welche die FPÖ und deren Spitzenkandidatin Susanne Winter in dieser Kampagne spielten. Ebenso dürfte aber auch das innerparteilich bei der ÖVP angewandte Vorzugsstimmenmodell einen vielleicht entscheidenden Beitrag zur Wählermobilisierung im eigenen Lager geleistet haben.
Dessen Kern in aller Kürze: Über ein Mandat entscheidet einzig und allein die Zahl an persönlichen Vorzugsstimmen, die ein Kandidat auf sich vereint. Ausgenommen waren bei der Grazer ÖVP lediglich die Stadtregierungsmitglieder. Alle anderen mussten um ihr vielzitiertes "Leiberl" rennen. Politische Erbpachten dank günstiger Listenreihung sind damit passé.
Die Grazer übernahmen dieses Modell im Kern von der niederösterreichischen ÖVP, die damit bereits bei Nationalrats- und Gemeinderatswahlen experimentierte. Und so wie im Reich Erwin Prölls murrten auch an der Mur die gehobenen Funktionäre vernehmlich.
Tatsächlich besteht stets die Gefahr, dass konkurrierende Kandidaten der selben Partei sich eher gegenseitig die Wähler abjagen als in fremden Partei-Teichen zu fischen. Parteifunktionäre mischen sich ja am liebsten mit ihresgleichen und sind eher scheue Wesen, wenn sie in die freie Wählerwildbahn geschickt werden.
In Graz scheint das intensive und individuelle Werben der Kandidaten um das schwarze Wählerpotenzial aber jedenfalls gereicht zu haben, dem klassischen Schicksal des Favoritentods zu entgehen. Die Opfer des Wählerwillens sind unter anderem die Gesundheits-, Finanz-, und Sozialsprecher des ÖVP-Klubs, auch die rechte Hand von Bürgermeister Siegfried Nagl fand vor den Bürgern keine Gnade. Weil vier der insgesamt acht Rückgereihten Frauen sind, verschlechterte sich auch die ohnehin schwache Quote im ÖVP-Klub auf 19:4.
Bemerkenswert ist aber auch das Abschneiden der Spitzenkandidaten bei den Vorzugsstimmen, wobei Nagl mit 2431 in einer eigenen Liga spielte. So kam die wegen ihrer Islam-Attacken heftig angefeindete FPÖ-Frontfrau Susanne Winter mit 899 Stimmen auf Platz zwei. Platz drei eroberte die Grünen-Spitzenkandidatin Lisa Rücker mit 880 Stimmen, KPÖ-Stadträtin Elke Kahr schaffte 841 Stimmen, der bereits zurückgetretene SPÖ-Vizebürgermeister Walter Ferk erzielte 798, BZÖ-Spitzenkandidat Gerald Grosz 386 Vorzugsstimmen.