UNO beklagt 2014 über 220 Hinrichtungen.|Der iranische Alltag ist von Restriktionen geprägt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Teheran/Wien. "Bitte glauben Sie dem Lächeln der iranischen Führung im Ausland nicht. Hier wird nach wie vor gehängt, gefoltert und eingesperrt. Von einer Entspannungspolitik habe ich noch nichts mitbekommen. Der Alltag besteht aus Restriktion und Angst", meint Houman S. im telefonischen Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Er ist schwul und musste in den vergangenen Monaten mehrmals miterleben, wie einige seiner Freunde wegen ihrer "widerwärtigen aus dem Westen importierten Krankheit" eingesperrt, verschleppt, bestraft oder gehängt wurden.
Er ist nicht der Einzige, der enttäuscht ist vom "versprochenen, aber nicht eingetretenen Wandel" unter dem als moderat geltenden Präsidenten Hassan Rohani.
Besonders harsch geht das iranische Justizministerium vor, wenn es um Hinrichtungen geht. Als Abschreckung werden oft "Marktplatzhinrichtungen" vollzogen. Diese öffentlichen Hinrichtungen werden "zelebriert" und von einer Predigt begleitet, die ihresgleichen sucht. "Was wir hier tun, soll all denjenigen ein Warnsignal sein, die auch so sind und glauben, dass sie uns entkommen", meinte etwa einer der Strafrichter bei einer öffentlichen Hinrichtung eines jungen schwulen Mannes mit einem süffisanten Lächeln. Das Publikum quittierte die mahnenden Worte mit tosendem Applaus.
Auch die UN-Menschenrechtsbehörde zeigt sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" "extrem besorgt" über die fortlaufende Vollstreckung von Todesurteilen. Ihre Angaben sind erschreckend: Seit Jänner stieg die Zahl der Exekutionen demnach bereits auf über 220 an. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. "Der Westen muss neben der Diskussion rund um das Atomprogramm auch die Hinrichtungen und die Menschenrechtssituation in der Islamischen Republik ansprechen", fordert ein Vertreter des UN-Gremiums. Die Zensurbehörde, die Hardliner und Sittenwächter greifen bei Verhaftungen in der Tat hart durch. Besonders Homosexuelle werden immer wieder mit den Worten "der Galgen wartet" in den Polizeistationen empfangen.
Kritiker "enttäuscht und ungeduldig"
Die iranische Exilopposition NRWI (Nationaler Widerstandsrat Iran) spricht von weit mehr als 600 Hinrichtungen. Kritiker des Regimes zeigen sich zunehmend enttäuscht und ungeduldig mit Rohani und werfen ihm vor, "bei aller Euphorie, die er bei seinem Kuschelkurs mit dem Westen investiere, auf das eigene Land zu vergessen". Andere beklagen, dass er sein gesamtes politisches Kapital in der Außenpolitik und im Atomstreit verbraucht habe. Daher halte ihn der Oberste Führer, Ayatollah Seyed Ali Khamenei, der in allen Belangen das letzte Wort hat, innenpolitisch "an der kurzen Leine".
Rohani selbst hat als Präsident faktisch keinen direkten Einfluss auf den Strafvollzug. Die komplizierten Machtstrukturen im Iran koppeln die Justiz vollkommen vom Regierungsapparat ab. Lediglich der Chef der Justiz, Ayatollah Sadegh Amoli-Larijani (Bruder des Parlamentspräsidenten Ali Larijani, Anm.) und Khamenei selbst sitzen hier an den höchsten Hebeln. Unmittelbar zu bestimmen über Hinrichtungen und andere Strafen hat der jeweilige Generalstaatsanwalt oder die einzelnen Justizsektoren. Letztere sind vollgestopft mit Ultrakonservativen und Hardlinern. Böse Zungen behaupten, dass Khamenei sehr darauf bedacht sei, diese Posten ja mit "eisernen Vertretern der islamischen Grundsätze" zu besetzen, um die Zügel der Macht bei Bedarf fester anziehen zu können.
Dies weiß auch der zweitmächtigste Mann im Iran, Ayatollah Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, der Chef des einflussreichen Schlichtungsrates. Sein nachdenklicher Gesichtsausdruck sprach Bände, als er im November in einem Interview mit der "Financial Times" gefragt wurde, welche Bilanz er nach 100 Tagen ziehe, die sein politischer Ziehsohn Rohani, als "moderater Präsident" im Amt sei.
"Außenpolitisch hat der Präsident mit seiner Regierung und seinen neuen Akzenten sehr viel weitergebracht. Ich hoffe, dass es bei den inneren Angelegenheiten in der Zukunft auch so sein wird. Inshallah", meinte Rafsanjani mit einem hoffnungsvollen Lächeln im Gesicht. Jeder wusste, dass er damit die Menschenrechtssituation und die Freiheiten und Rechte der Bürger meinte, die unter dem Amtsvorgänger Rohanis, Mahmoud Ahmadinejad, einen herben Rückschlag erlitten hatten.
Nichts zu sehen von versprochenen Reformen
Nun ist Rohani schon fast ein Jahr im Amt. Von seinen versprochenen Reformen in diesem Bereich ist aber noch immer nichts zu sehen. "Können wir uns in den Universitäten frei bewegen? Kann man in Ruhe mit seiner Partnerin oder seinem Partner ausgehen, ohne fürchten zu müssen, auf unliebsame Sittenwächter zu stoßen? Die Antwort auf diese Fragen lautet nein", meint Houman resignierend. In manchen Bereichen, so der Tenor der Kritiker, habe sich sogar vieles verschlimmert.
"Ich werde die Riegel und die Schlösser auf dem Weg zur Freiheit öffnen und eine Bürgerrechtscharta kreieren", hatte Rohani voriges Jahr in seinem Wahlkampf versprochen. Die knapp 75 Millionen überwiegend jungen Perser (zwei Drittel sind unter 27 Jahre alt) warten noch immer vergeblich auf Verbesserungen in ihrem Alltagsleben.
"Während bei den Atomgesprächen versucht wird, eine Lösung im Atomstreit mit dem Westen zu finden, greift der Zensurapparat der iranischen Führung ungewöhnlich scharf durch. Das nenne ich mildes, diplomatisches Lächeln auf der einen und eiskalte Zensur auf der anderen Seite", beschwert sich Mansour Gh. Sein Sohn wurde am vergangenen Dienstag verhaftet, weil er seine Augenbrauen zu dünn gezupft und auch sonst einige der islamischen Regeln missachtet hatte. Er befindet sich seitdem im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis und wartet dort auf seine Strafe. Was ihn erwartet? "Eine Anhörung, Peitschenhiebe, eine Verwarnung, Haft oder sonst etwas. Es kommt darauf an, wonach ihnen gerade ist", ärgert sich Mansour.
Es sei zwar sehr schön, wenn Rohani und sein Außenminister Mohammad Javad Zarif permanent in die Kamaras lächeln. Dem Land selbst und dessen Alltag bringe es aber nichts. Schließungen von Internetcafés, Großrazzien nach Satellitenschüsseln, mit deren Hilfe man westliche Kanäle empfangen kann, eine permanente Jagd auf Social-Media- Nutzer und vermehrte Planquadrate "zur Sicherstellung der Einhaltung der islamischen Bekleidungsvorschriften" plagen die Jugend, die in der Islamischen Republik außerordentlich pro-westlich orientiert ist. Der Iran ist auch das Land im Nahen und Mittleren Osten mit den meisten jungen Internetnutzern. Nirgendwo anders haben 20 Millionen junge Menschen Accounts bei den großen sozialen Netzwerken wie Youtube, Facebook und Twitter.
Offiziell sind letztere jedoch strengstens verboten. "Es ist grotesk: Der Oberste Geistliche Führer Ayatollah Ali Khamenei und Rohani selbst haben Twitter- und Facebook-Accounts und für uns soll es verboten sein? Das ist fast so eine Realitätsverweigerung wie seinerzeit jene Aussage von Ahmadinejad, der meinte, es gebe keine Schwulen im Iran. Daher sollte Rohani agieren und etwas für die Jugend tun. Denn wir haben sowieso Mittel und Wege gefunden, um uns zu arrangieren", meint Farshid, ein junger Perser und spielt auf die im Iran wichtigen VPN-Systeme an. Mithilfe dieser Filterbrecher kann man im Internetcafe auch westliche Seiten öffnen.
Tor zur westlichen Kommunikation
Sie sind das Tor der iranischen Jugend zur westlichen Kommunikationsgesellschaft. Einziger Wermutstropfen: Diese Filterbrecher werden nur in Internetcafes im Norden und in der Stadtmitte angeboten. Im ärmeren Süden müssen die Menschen privat etwas tiefer in die Tasche greifen, um diese Dienste nutzen zu können, denn dort sind keine VPN-Systeme installiert. Für die Menschenrechtskritik der UNO zeigt Mansour volles Verständnis.
"Was wir in diesem Bereich im Iran sehen, ist tiefstes Mittelalter. Da muss noch viel geschehen. Wenn fast täglich Schwule verhaftet werden und junge Menschen durch restriktive Vorschriften schikaniert oder ins Evin-Gefängnis gebracht werden, muss man sich fragen, ob Rohani denn überhaupt etwas gebracht hat für das Land", fragt er.
Rohani selbst betont in seinen Pressestatements, dass er sich über "gewisse Probleme" bewusst sei. Doch diese könnten nicht binnen Wochen oder Monaten gelöst werden. Um die "vielen Fehler der Vorgängerregierung" glattzubügeln, brauche es eben einen Zeitrahmen, so sein Argument. Erst vor wenigen Tagen sicherte er der Bevölkerung erneut eine Verbesserung des Alltags zu. Ob die Restriktionen allerdings ganz von der Bildfläche verschwinden, ist fraglich.
Homosexualität im Iran
(af) Homosexualität gilt im Islam als Sünde ("haram") und ist zumindest offiziell strengstens verboten. Seit Beginn der Islamischen Revolution 1979 wurden im schiitischen Gottesstaat Iran nach Schätzungen von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen bis zu 8000 schwule Männer und Jugendliche hingerichtet. Da in der Islamischen Republik die Scharia gilt, steht dort auf männliche Homosexualität die Todesstrafe. Das Strafgesetzbuch des Iran beschreibt "Lavat" als eine "sexuelle Handlung zwischen Männern, entweder mit Eindringen oder in Form von Tafkhiz" (Aneinanderreiben von Oberschenkel und Penis). In Paragraf 110 des Strafgesetzbuches heißt es: "Die Bestrafung von Lavat mit Eindringen ist die Todesstrafe, und die Exekutionsart obliegt dem Scharia-Richter." Doch schon "wer einen anderen aus Wollust küsst, wird mit bis zu 60 Peitschenhieben bestraft" (Artikel 124). Bei lesbischer Liebe erfolgt die Todesstrafe erst bei der vierten Wiederholung.
Nicht immer müssen vier andere "rechtschaffene Männer" (Artikel 117) bezeugen, dass sie den homosexuellen Verkehr mit eigenen Augen gesehen haben - manchmal werden Menschen als homosexuell diffamiert, um einen Hinrichtungsgrund zu haben.
In der Hauptstadt Teheran, wo rund 16 Millionen Menschen leben, gibt es Schätzungen zufolge 500.000 Homosexuelle, die ihre Sexualität zumeist im Untergrund mittels Internetkontakten und bei Privatparties ausleben. Menschenrechtsexperten gehen davon aus, dass der Hauptgrund für die Verfolgung und Hinrichtung von Homosexuellen der verzweifelte Versuch der Führung ist, in der Bevölkerung Angst auszulösen.