Es hat wieder einmal gekracht in Israel, diesmal in Netanya. Wieder einmal fand ein politisch motivierter Anschlag statt, diesmal vermutlich vom Iran ermutigt. Wieder wurden Menschen verletzt, | diesmal 34. Aber diesmal ist alles anders. Die Radiostationen und das Fernsehen haben zwar über den Anschlag unmittelbar in "Breaking News" berichtet, dann aber relativ rasch das normale Programm | fortgesetzt.
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Die Zeitungen berichteten am Tag danach über den Anschlag, aber die Bilder auf den Titelseiten zeigten nicht wie sonst in diesen Fällen blutende Verletzte, sondern die Teilnehmer an den
nachfolgenden Protestdemonstrationen gegen die Friedenspolitiker der Regierung, und das war nur eine kleine Gruppe. Es ist, als gebe es eine geheime Absprache, das Ereignis nur ja nicht zu sehr in
den Vordergrund zu rücken.
Das gleiche Empfinden hat man, wenn man die Kommentare der israelischen Regierenden hört. Keiner will sich von dem einmal eingeschlagenen und nun mühsam wieder aufgenommenen Weg zu einer unblutigen
Koexistenz mit der arabischen Bevölkerung in der Region abbringen lassen. Alles wird seinen Gang gehen wie vertraglich ausgehandelt. Montagmorgen haben in Ramallah im autonomen Westjordanland die
Verhandlungen über den endgültigen Status der Beziehungen der beiden Völker, Israels und der Palästinenser, begonnen.
Es gab eine klare Forderung Baraks an Arafat, alles zu tun, um terroristische Störaktionen gegen die Friedensverhandlungen zu unterbinden. Es gab eine klare Verurteilung des Anschlags durch die
Palästinensische Führung. Und nun: Business as usual.
Die Polizei sagt, sie habe Warnungen vor diesem jüngsten Anschlag erhalten, aber nichts Spezifisches. Und sie sagt, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass es weitere Versuche geben werde während der
Verhandlungen zwischen den beiden Völkern. Eine Freundin berichtet mir, dass sie von psychologischen Trainingsprogrammen gehört habe, die lehren sollen, mit dem Terror zu leben. Denn man müsse mit
dem Terror leben.
Die größeren Anschläge, die ich bisher in Israel erlebt habe, waren alle an Orten, wo ich mich immer wieder aufhalte. Einen habe ich nur um zwei Minuten verpasst. Niemals habe ich herausgefunden,
warum ich damals, 1997, entgegen meiner Absicht doch nicht auf der Terrasse des Café "Apropo" Platz genommen habe, sondern weitergegangen bin. Zwei Minuten später sprengte sich ein
Selbstmordattentäter genau dort in die Luft und drei Frauen starben. Am letzten Wochenende war ich in Netanya und spazierte durch die Herzlstraße. Ich bin eine Zielscheibe, eine unter mindestens 4,8
Millionen, wenn ich davon ausgehe, dass die arabische Bevölkerung in Israel nicht gemeint ist. Aber wir haben keine Schilder umhängen, auf denen unserer Nationalität steht. Ich bin als Nichtisraeli
nicht erkennbar, wie es auch Touristen nicht sind.
Ich habe mich daran gewöhnt, dass jemand beim Eingang zum Supermarkt meine Handtasche durchsucht, genauso wie beim Eingang zum Kinosaal. Ich gehe nicht Freitagvormittag auf den überfüllten Markt,
weil das ein "günstiges Ziel" für Attentäter ist. Ich lasse niemals auch nur für die Zeit des Wegs auf die Toilette meine Aktenmappe auf dem Kaffeehaustisch liegen, weil sie damit zu einem
verdächtigen Gegenstand würde, der sofort von Spezialeinheiten der Terrorbekämpfung gesprengt würde. An all das habe ich mich gewöhnt.
Und trotzdem komme ich mit dem Gedanken nicht klar, dass es wieder einmal jeden Tag geschehen könnte, "während der Dauer der Verhandlungen", wenn ich Geld aus dem Bankomaten holen, wenn ich am Meer
entlanglaufe, wenn ich Obst einkaufe. Und doch scheint diesmal alles anders. Nicht, weil es keine Toten gab und großteils "nur leicht" Verletzte. Die, die Terror verbreiten wollen, die Angst einjagen
wollen, die das klare Denken verhindert, kommen nicht auf ihre Rechnung. Ihre Aktion wird banalisiert. "Stell Dir vor, eine Bombe detoniert und keiner berichtet darüber." Ich bin eine Zielscheibe. Je
ruhiger ich bleibe, umso nutzloser ist Terror.