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Der ganz große Zukunftswurf fehlt

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Politik

Fast alle Parteien propagieren im Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern einen tiefgreifenden Strukturwandel. Vor Ort klingt das jedoch vor allem bodenständig.


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Schwerin/Stralsund. Seit Jahresanfang ist es fix: Der in Wels beheimatete Seilproduzent Teufelberger investiert nicht gegenüber der größten deutschen Insel Rügen, in Stralsund. Thomas Würdisch findet das "ärgerlich". Schließlich will sich der 54-Jährige für die Anwerbung von Industrieunternehmen starkmachen, falls er es am Sonntag in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern schafft.

Würdisch tritt für die SPD an und ist Direktkandidat im Umland von Stralsund und dem Nordwesten der gut 58.000 Einwohner zählenden Hansestadt. Vergleichsweise groß sind hier noch die Orte Grimmen und Barth mit ungefähr 10.000 Einwohnern. Besonders in Barth, wo sich immer mehr Bootsbauer ansiedeln, sieht Würdisch Chancen für die mittelständische maritime Wirtschaft.

Alle drei Städte zählen zum Landkreis Vorpommern-Rügen. Er ist eine von 13 deutschen Modellregionen für den Breitbandausbau. Bis Mitte 2018 gibt es Fördermittel in der Höhe von 1,5 Millionen Euro. Stralsund gilt mit Neubrandenburg als digital am besten erschlossene Kommune im Bundesland. Allerdings mangelt es an Ideen, wie der Landkreis mittels digitaler Infrastruktur konkret vorankommen soll.

Wahlkampf mit Digitalisierung

Auch Würdisch belässt es dabei, dass nichts ohne Digitalisierung geht. Beredt wird der Mann mit langjährigen Erfahrungen in Hotellerie und Gastronomie beim Thema Tourismus. Er will Besucher in vernachlässigte Landstriche locken und die Sommersaison ausdehnen, um so auch Arbeitskräfte, und damit Jüngere, in der überalterten Region zu halten.

Bemerkenswert ist Würdischs Engagement für die maritime Wirtschaft, weil sein Parteifreund, Ministerpräsident Erwin Sellering, in dieser Legislaturperiode wegen der Insolvenz der Werften im Lande durchgängig unter Beschuss stand. Für sie wurden nur unter größten Mühen neue Investoren gefunden. Sellering hat all das nicht viel anhaben können. Abgesehen davon, dass die SPD in Umfragen vorne liegt, wollen ihn zwei Drittel der Wahlberechtigten weiter als Ministerpräsident.

Im Wahlkampf wird das Werften-Debakel vor allem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Verbindung gebracht. Die CDU-Politikerin hat ihren Wahlkreis in Stralsund und bietet deshalb in Mecklenburg-Vorpommern relativ viel persönliche Angriffsfläche. Derzeit ist sie so häufig wie selten in Deutschlands Nordosten unterwegs, um einen durchgreifenden Strukturwandel anzukurbeln, etwa mit dem Startschuss für deutlich erhöhte Breitbandkapazitäten auf der Insel Rügen. Die Umfragewerte ihrer Partei sind auf Landesebene trotzdem im Sinkflug begriffen. Hauptprofiteurin ist die Alternative für Deutschland (AfD). Sollte die CDU hinter diese zurückfallen, muss sich Merkel künftig auch den Vorwurf gefallen lassen, dass sie der erstarkenden politischen Rechten nichts mehr entgegenzusetzen hat.

Ihre Plakate widmet die AfD vor allem dem, aus ihrer Sicht ungesteuerten, Zustrom von Flüchtlingen, für den, so die unterschwellige Botschaft, die deutsche Regierungschefin die Verantwortung trage. Die direkte Kommunikation mit AfD-Kandidaten geht in eine etwas andere, am lokalen Geschehen orientierte Richtung. Merkel habe die Werften einst zur Chefsache erklärt, aber nicht gehandelt, teilt Thomas Würdischs direkter Mitbewerber Ralf Borschke in Richtung der Kanzlerin aus.

Die Energiewende wiederum, Merkels vielleicht wichtigstes Vorhaben, bringt aus seiner Sicht "Zufallsenergien" hervor, mit denen keine Industrie arbeiten könne. AfD-Spitzenkandidat Leif-Erik Holm spricht, auch mit Blick auf die Landesregierung, die zuletzt Windenergie forcierte, von einem "falschen Strukturwandel". Für einen schnellen Wandel in Richtung Technologie und Industrie 4.0 sieht er keine Anzeichen.

Merkels große Hoffnung

Ann Christin von Allwörden ist CDU-Direktkandidatin in Stralsund und damit eine von Merkels großen persönlichen Hoffnungen. Die 37-Jährige passt in das Bild der Jungen, wie sie viele gern in Mecklenburg-Vorpommern hätten. Kindheit und frühe Jugend in Schleswig-Holstein, Schulabschlüsse in Stralsund und Umgebung, Ausbildung wieder in Schleswig-Holstein, dabei politisch stets engagiert in Stralsund.

Digitalisierung sei noch nicht so ihr Thema, räumt sie unumwunden ein. Lieber bleibt sie bodenständig und wirbt für eine deutliche Stärkung des Handwerks und des produzierenden Gewerbes in der Hansestadt. Die Region Vorpommern müsse europäischer werden und sich beispielsweise mehr nach Szczecin orientieren.

Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte ist der größte Landkreis in ganz Deutschland. Gerade einmal 250.000 Menschen leben hier. Stavenhagen mit knapp 5600 Einwohnern ist da schon eine Größe. Seit der Wende stehen namhafte Spediteure und Nahrungsmittelproduzenten für eine dauerhaft tragfähige Unternehmenslandschaft, seit 2005 ist die Kommune schuldenfrei.

Florierende Metropole fehlt

Die Linke, zuletzt in Umfragen wieder im Aufwind, hat sieben von 17 Monaten in der Gemeindevertretung inne. Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer im Landtag, Peter Ritter, bewirbt sich um ein Direktmandat. Die Landeshauptstadt Schwerin scheine weit weg und anders als im westlichen Mecklenburg könnten Berufstätige nicht täglich in eine florierende Metropole, wie Hamburg, pendeln - und bringt damit das hiesige Lebensgefühl auf den Punkt. Nichtsdestotrotz ist er stolz auf Stavenhagens vergleichsweise komfortable Situation. In den nächsten Jahren gelte es, die Landwirtschaft durch eine "kluge Kombination von Fördermitteln" voranzubringen.

Silke Gajek, Spitzenkandidatin der Grünen, tritt als Direktkandidatin in Schwerin an, betont aber, dass ihre Partei vor allem um Zweitstimmen kämpfe. Trotz innovativer Diktion setzt auch sie auf Bodenständiges. Gajek will die Region zwischen Hamburg und Schwerin als "Garten der Metropolen" aufblühen lassen und den ländlichen Raum stärken. Als wichtigen Zukunftsmotor sieht sie die Kreativwirtschaft, womit sie nicht nur kreative Köpfe, sondern auch "kreative Macher" wie etwa kunstfertige Handwerker meint. Gajek will "Raumpioniere" in den Nordosten Deutschlands holen. Gemeint sind insbesondere junge Familien, die eine zeitgemäße Breitbandinfrastruktur benötigen, die ihnen digitale Mobilität erlaube, außerdem gut ausgestattete Kitas und Schulen.