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Der Gaza-Krieg wird zur PR-Schlacht

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik

Großbritanniens Außenminister Hague warnt derweil vor israelischer Bodenoffensive in Gaza.
| 84 Prozent der Israelis stehen hinter dem Waffengang gegen die Hamas.


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Tel Aviv.

"Der erste Raketenangriff auf Tel Aviv hat alles verändert", sagt der Israeli Idan Spond am Campus der israelischen Privatuniversität IDC-Herzliya, wo er und andere Studenten seit Tagen eine Informationskampagne über die israelische Militäroperation im Gazastreifen koordinieren. Parallel zu den Gefechten zwischen der israelischen Armee und der islamistischen Hamas im Gazastreifen führen sie einen Krieg im Internet. Es ist ein Kampf um Wahrheit, Image und Öffentlichkeit. "Öffentlichkeitsarbeit ist das größte Problem Israels. Palästinenser haben es leichter. Sie sind die kleinen und schwachen, und haben deshalb schnell die Sympathie in Europa gewonnen", sagt Spond im improvisierten Hauptquartier der Kampagne. Von seinen neun Jahren beim israelischen Militär erzählt der 28-Jährige mit Stolz. Einige Zeit sei er sogar Assistent der Armee-Sprecherin gewesen, berichtet er. Daher weiß er gut, wie man einen Krieg gegenüber der Öffentlichkeit rechtfertigt und diesen ins richtige Licht rückt.

Vom Computerraum der Bibliothek übersetzen die Aktivisten Informationen und "Fakten" in alle möglichen Sprachen, erstellen Grafiken über Raketenangriffe auf Israel oder hinterlassen ihre Spur auf Webseiten von Medien und in Online-Foren. Ihre Fakten beziehen sie vor allem vom israelischen Militär und vom Ministerium für Öffentlichkeitsarbeit, daneben wird ständig die internationale Berichterstattung zum Thema mitverfolgt. In den sozialen Medien tritt die Kampagne unter dem Titel "Israel Under Fire" auf. Ihr Feind: Die Gegenkampagne aus Gaza und Medienberichte, die nicht ihren Vorstellungen entsprechen. Mit mehr als 100 Freiwilligen aus rund 20 Ländern wollen sie das Image Israels im Internet trotz des eskalierenden Konflikts in Gaza aufbessern, und dabei vor allem eine zentrale Botschaft verbreiten: Israel hat das Recht, sich selbst zu verteidigen.

Warnung aus London

Auch US-Präsident Barack Obama unterstrich in einer Rede am Sonntag Israels Recht auf "Selbstverteidigung", betonte jedoch, dass er einer israelischen Bodenoffensive im dicht besiedelten Gazastreifen skeptisch gegenüberstehe. Der britische Außenminister William Hague warnte Israel ebenfalls vor einer Invasion im Gazastreifen, da diese vermutlich zu hohen Opferzahlen in der Zivilbevölkerung führen würde. Laut Hague könnte eine Invasion auch für Israel selbst zur Gefahr werden: "Eine Bodeninvasion würde Israel eine Menge an internationaler Unterstützung und Sympathie wegnehmen, die sie in der aktuellen Lage noch haben", sagte er am Sonntag.

Um diese internationale Sympathie aufrecht zu erhalten, wollen die Studenten in Herzliya gemeinsam mit der Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und Militär selektiv jene Informationen verbreiten, die den Konflikt auch weiterhin als Selbstverteidigung Israels darstellen. Dabei geht es vor allem darum, die schwierige Lage in der israelischen Zivilbevölkerung immer wieder zu unterstreichen.

Seit Beginn der israelischen Operation am Mittwoch sind rund 570 Raketen in Israel gelandet. Rund 300 weitere konnten von dem Raketenabwehrsystem "Eiserne Kuppel" abgefangen werden. So auch mehrere Raketen, die von Milizen der islamistischen Hamas am Wochenende nach Tel Aviv geschossen wurden. Im Süden Israels gab es hingegen einige schwere Einschläge. So ist am Samstag eine Rakete durch die Wand eines Wohnhauses in der Stadt Ashdod gekracht. Auch in Be’er Sheva, Ashkelon und anderen Orten im Umland des Gazastreifens richteten Raketen erheblichen Schaden an, führten aber zu keinen neuen Toten. Sirenen und die Flucht in den Bunker stehen mittlerweile für hunderttausende Menschen in Israel an der Tagesordnung.

Medien als Angriffsziel

Gleichzeitig wird auch die Lage für die Menschen im Gazastreifen immer katastrophaler. Seit Beginn der Operation am Mittwoch sind bei rund 1350 israelischen Angriffen mindestens 95 Menschen gestorben, viele davon Zivilisten. Israels Angriffe aus der Luft und vom Meer haben am Wochenende nicht nur militärische Ziele und Regierungsgebäude der Hamas getroffen, sondern auch Wohnhäuser und Standorte von Medien, darunter am Montag ein 14-stöckiges Gebäude, in dem Al-Aqsa-TV sowie Al-Arabiya und der libanesische Sender MBC untergebracht sind. Das Internationale Presseinstitut (IPI) mit Sitz in Wien kritisierte Israels gezielten Angriff auf das Medienhaus. Am Sonntag hat ein israelischer Angriff auf ein Gebäude eine ganze Familie ausgelöscht, darunter fünf Frauen und vier Kinder. Sollte es tatsächlich zu einer Bodenoffensive kommen, wird die Opferzahl rasant ansteigen. Das nicht zuletzt, weil im dicht besiedelten Gazastreifen die Kollateralschäden von Gefechten besonders hoch sein könnten. Bei Israels letzter Bodenoffensive im Gazastreifen 2008/2009 sind rund 1400 Palästinenser gestorben.

Waffenruhe nicht in Sicht

Gedrängt durch die katastrophalen Entwicklungen wird weiterhin versucht, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Israel hat zu diesem Zweck einen Gesandten nach Kairo geschickt. Am Dienstag soll ein Besuch von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon den Verhandlungsprozess vorantreiben. Auch eine Delegation der Arabischen Liga und des türkischen Außenministers wird für heute, Dienstag, im Gazastreifen erwartet.

Die Chancen auf eine baldige Waffenruhe werden jedoch trotz der Anstrengungen als sehr gering eingeschätzt. "Der Vermittler Ägypten hat ein stärkeres Interesse an einem Waffenstillstand als die Konfliktparteien selbst", sagt Ofer Zalzberg, Senior Analyst bei der International Crisis Group in Jerusalem. "Und das ist kein gutes Zeichen."

Ein weiteres Problem sei, dass Israel und die Hamas nicht nur Forderungen aneinander stellen, sondern auch von Ägypten Zugeständnisse fordern, sodass sich die Lage verkompliziert. Israel will vor allem den Waffenschmuggel der Hamas unterbinden, während die Hamas vor allem ein Ende der israelischen Tötungen seiner politischen und militärischen Führer fordert und von Ägypten eine Öffnung der Grenzen will. "Die ambitionierteren Pläne für ein Abkommen scheinen nicht zu greifen, deshalb konzentriert sich zurzeit alles auf kurzfristige Sicherheit", sagt Zalzberg. Doch selbst dabei sei unklar, wer einen Bruch des Abkommens überwachen und bestrafen soll. "Die Chance, dass ein einfacher Waffenstillstand länger als ein paar Monate dauern würde, sind ohnehin sehr gering."

Sollte es zu einer Bodenoffensive kommen, wonach es zurzeit aussieht, wird die PR-Arbeit der Studenten in Herzliya umso wichtiger für Israels Image im Ausland. In Israel selbst scheint dieses Image ohnehin gut genug zu sein: Die bisherige Operation des israelischen Militärs genießt laut einer Umfrage der Zeitung "Haaretz" die Unterstützung von 84 Prozent der israelischen Bevölkerung. Nur etwa 12 Prozent sind dagegen. Umfrageergebnisse ergeben auch wachsende Zustimmung für den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Ehud Barak. Schon in zwei Monaten finden in Israel Wahlen statt, und Kritiker haben der Regierung eine bewusste Eskalation zum Zwecke des Wahlkampfs vorgeworfen.

Werbung für den Krieg?

"Ich will keine Bodenoffensive in Gaza", sagt die Vorsitzende des Internationalen Komitees des Studentenverbands der Universität in Herzliya, Bianca Sitzer. "Ich habe Freunde in der Armee, um die ich fürchte. Ich kann mir den Tod der anderen nicht wünschen, weil das den Tod meiner Freunde riskiert."

Das Hauptproblem aus Sicht ihrer Kampagne sei vor allem die Hamas. Diese, so Sitzer, sei schlecht für Israel und für die Palästinenser. Um die Palästinenser genau darüber aufzuklären, will "Israel Under Fire" auch auf die arabische Welt erreichen. "Wir sollten uns alle gegen die Hamas zusammenschließen", meint Sitzer. Wie viele andere Freiwillige hinter der Kampagne spricht sie einige Fremdsprachen. Ursprünglich aus Venezuela, beherrscht sie neben Englisch und Hebräisch auch Spanisch, Französisch und Portugiesisch. Diese Kenntnisse ausländischer Studentinnen sind ein starkes Rückgrat hinter der Kampagne. Die Übersetzungen ins Arabische werden von israelischen Studenten gemacht. "Für uns ist am wichtigsten, der Welt zu erklären, dass auch Israel angegriffen wird", sagt sie. "Egal, wo in den Medien, das Problem ist oft dasselbe. Sie schreiben darüber, dass Israel angreift, aber nicht, was dahinter steckt."

Eine der Freiwilligen in der Kampagne ist Katharina aus Österreich. Spontan habe sie ihre Mitbewohner darum gebeten, einige Texte zu übersetzen. Darunter auch eine Geschichte über eine junge Israelin, die einen Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt lebt. "Für die ist der Gaza-Konflikt seit 12 Jahren das tägliche Leben", sagt Katharina. Sie selbst verbreite die Informationen der Kampagne allerdings nicht. Immerhin müsse man das Ganze auch etwas kritisch sehen, sagt sie. "Israelis vergessen schnell auf die Hintergründe des Konflikts. Und vieles von dem, was veröffentlicht wird, ist Gehirnwäsche".