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Der geerbte Weltkrieg

Von Christoph Rella

Wissen

Vor 250 Jahren verkündeten Österreich, Sachsen und Preußen in Schloss Hubertusburg das Ende des Siebenjährigen Krieges. Parallel verständigten sich auch Engländer und Franzosen in Paris auf Frieden.


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Es war ein Bild der Zerstörung, das sich den sächsischen, österreichischen und preußischen Unterhändlern am 15. Februar 1763 auf Schloss Hubertusburg bei Leipzig bot. Zerschlagene Fensterscheiben, zerstörte Möbel und vereinzelt Brandspuren. Da die Räume im Hauptschloss nicht mehr benutzbar waren, wurden die Herren in den südlichen Rundflügel des früheren kurfürstlichen Jagddomizils gewiesen, wo sie sich allerdings noch gedulden mussten, bis man in aller Eile Tische und Stühle aus benachbarten Gaststuben herbeigeschafft hatte.

Das "Definitiv-Friedens-Tractat" von 1763. Abbildung: Archiv

Als sich die Diplomaten schlussendlich über die Landkarten beugten, dürfte sich vor allem einer von ihnen, der preußische Legationsrat Ewald Friedrich von Hertzberg, nicht ganz wohl in seiner Haut gefühlt haben. Nicht nur, dass seine Regierung froh sein konnte, dass es den Staat Preußen nach sieben Kriegsjahren noch gab, musste er - wie seine Verhandlungspartner - gewusst haben, dass es preußische Truppen gewesen waren, die das Haus zwei Jahre zuvor so übel zugerichtet hatten. Sein Souverän, Friedrich II., hatte die Plünderung von Hubertusburg befohlen, nachdem sächsische Truppenteile im Vorjahr Schloss Charlottenburg in Berlin verwüstet hatten.

Nur, zu viel mehr als diesem Revancheakt wäre der König angesichts der katastrophalen Lage, in der sich der preußische Staat Ende 1761 befand, ohnehin nicht fähig gewesen: Sachsen, Schlesien, Hinterpommern und Ostpreußen waren von feindlichen Truppen besetzt - und auch die Hauptstadt Berlin lief Gefahr, überrannt zu werden. Von Preußens einzigem Verbündeten, England, das seine Subsidienzahlungen eingestellt hatte, war zu diesem Zeitpunkt keine Hilfe zu erwarten.

Es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis Friedrichs Gegenspielerinnen, die österreichische Erzherzogin Maria Theresia und Russlands Zarin Elisabeth, Preußen in Stücke reißen würden. Dem sonst siegessicheren König setzte die drohende Niederlage heftig zu: "Ich bin zu Tode erschöpft", klagte er, "weil ich zwei Weiber am Hals habe."

Aber wie war es dazu gekommen? Wie war es möglich, dass sich nahezu alle Staaten Europas 1756 in einen Waffengang stürzten, der die Menschheit in einen "Weltkrieg" und Preußen und Frankreich an den Rand ihrer nationalen bzw. kolonialen Existenz drängen sollte?

Nun, wer 1756 verstehen will, muss zunächst einmal 1748 verstehen. Der Friede, der in jenem Jahr zu Aachen geschlossen wurde und der den Österreichischen Erbfolgekrieg beendet hatte, war brüchig gewesen. Besonders groß war die Unzufriedenheit auf österreichischer und französischer Seite, denn was den erhofften Zuwachs an (Ex-)Territorien betraf, gingen beide Staaten leer aus. Der lachende Dritte war Preußen, das das österreichische Schlesien behalten und sich erstmals vorsichtig als Großmacht fühlen durfte.

"Spielsaal" Europa

"Nous avons tous travaillé pour le roi de Prusse", klagten nicht nur die Diplomaten. Besonders das Pariser Volk murrte über die Unfähigkeit seiner Regierung. So ist etwa die in Frankreich gebräuchliche Redewendung "bête comme la paix" auf Aachen zurückzuführen. Wie konnte man nur so "dämlich" sein?

Was daraufhin folgte, war eine kleine Sensation: Die Verlierer schlossen sich zusammen, aus den leidenschaftlichen Erzfeinden Frankreich und Österreich wurden erstmals Bündnispartner - mit dem Ziel, in absehbarer Zeit gegen Preußen und das mit ihm verbündete Großbritannien zu marschieren. Allein damit hatten der englische König Georg II., der auch Kurfürst von Hannover war, und der "alte Fritz" nicht gerechnet, galt doch der Antagonismus zwischen den Häusern Bourbon und Habsburg seit jeher als unüberwindlich. Deren Prioritäten waren klar: Österreich wollte Schlesien zurück und Frankreich sich endgültig vom Korsett der englischen Vorherrschaft in den amerikanischen und indischen Kolonien befreien.

In der Geschichtsschreibung wird der Pakt zwischen Paris und Wien gern als "diplomatische Revolution" bezeichnet. Tatsächlich standen damals angesichts der ungefestigten fließenden Machtkonstellationen Bündniswechsel an der Tagesordnung. Im 18. Jahrhundert schied nicht mehr die Religion zwischen Freund und Feind, sondern allein die Staatsraison - und zwar in Gestalt einer machiavellistischen Kriegspolitik. "In Europa ging es zu wie in einem Spielsaal. Der Erdteil glich einer Machtbörse, in der die Kurse ununterbrochen schwankten", schrieb der Historiker und Publizist Sebastian Haffner.

Nur waren die Voraussetzungen in diesem Krieg, der zwischen 1756 und 1763 in Europa, Nordamerika und Indien ausgetragen wurde, vor allem für Frankreich und Preußen besonders ungünstig. Denn während der französische König Ludwig XVI. mit leerer Kriegskasse gegen die englische Flotte antreten musste, drohte Friedrichs Reich im Sommer 1756 gleich an vier Fronten - neben Österreich und Frankreich hatten auch Russland und Schweden den Krieg erklärt - erdrückt zu werden.

Beide Monarchen hatten ihre Gegner schlichtweg unterschätzt. So besaß etwa Frankreich seit der vernichtenden Schlacht von La Hogue 1692 keine Flotte mehr, die es mit der englischen Marine hätte aufnehmen können. Was aber noch viel schwerer wog, war die Tatsache, dass sich Großbritanniens Kriegswirtschaft am Finanzmarkt rascher und billiger mit frischem Geld versorgen konnte, als der französische Staat. Was diesen Konflikt von anderen Kräftemessen unterschied, war das Faktum, dass es nicht nur um eine alte Rivalität benachbarter Reiche ging, sondern um einen Wettlauf zweier divergierender Wirtschafts- und Regierungssysteme um die Weltherrschaft.

Schloss Hubertusburg bei Leipzig, wo am 15. Februar 1763 Österreich und Preußen den "Erschöpfungsfrieden" verkündeten.
© Foto: wikip.

Das Rennen sollten die Engländer machen. Der Grundstein für das britische Imperium wurde 1757 in Indien gelegt, wo die East India Company nach ihrem Triumph über die französisch-indische Kolonialarmee bei Plassey ganz Bengalen annektierte und zur bestimmenden Macht am Subkontinent aufstieg. Am nordamerikanischen Kriegsschauplatz hingegen konnten die französischen Truppen ihre Forts an den kanadischen Seen noch zwei Jahre halten - bis schließlich die Pariser Regierung 1759 den Bankrott erklären musste. Danach ging alles Schlag auf Schlag: Im Juli 1760 fiel Quebec, zwei Monate später kapitulierte auch Montreal. Frankreich sollte diese Kolonien nie mehr zurückerhalten.

Mehr Glück hatte dagegen Preußen. Zwar mangelte es auch hier an Geld, das man dann und wann in Form von Subsidien von Großbritannien erhielt. Dass sich die preußische Armee aber über sieben Jahre lang behaupten konnte, hatte andere Ursachen. Der schottische Historiker Thomas Carlyle brachte es auf den Punkt, als er schrieb: "Preußen hatte ein kürzeres Schwert als Österreich, Frankreich und Russland, aber es brachte es schneller aus der Scheide."

Fritzens Hosenklopfen

Friedrich II. hatte im August 1756 ohne Kriegserklärung seine Soldaten gegen das Kurfürstentum Sachsen im Marsch gesetzt, um von dort aus nach Prag vorzustoßen. Der König nutzte den Moment des Angriffs als Mittel zur Verteidigung. Seine moderne, nur aus preußischen Landeskindern bestehende Armee leistete ihrem "Fritz" diesen Dienst gern. Die preußischen Grenadiere zogen kreuz und quer durchs Land, nahmen sich jeden Gegners einzeln an und errangen trotz ihrer Minderzahl glänzende Siege - gegen die Franzosen bei Roßbach, gegen die Österreicher bei Leuthen (beide 1757) und gegen die Russen bei Zorndorf (1758). Die Wirkung dieser Siege war beachtlich, überall - auch im Ausland - wurde "Fritz" als Held gefeiert und besungen: "Wenn unser großer Friedrich kömmt und klopft nur auf die Hosen, so läuft die ganze Reichsarmee, Panduren und Franzosen."

Dann aber kam Kunersdorf, eine Schlacht, die eigentlich alles hätte entscheiden können. Beim Anblick der vereinigten österreichisch-russischen Übermacht, die sich den Preußen hier am 12. August 1759 entgegenstellte, half auch kein Hosenklopfen mehr. Des Königs Heer wurde vernichtend geschlagen, der Weg nach Berlin war frei. Dass Österreicher und Russen dennoch nicht in die Hauptstadt einmarschierten und damit den preußischen Staat vor der Kapitulation bewahrten, sollte als "Mirakel des Hauses Brandenburg" in die Geschichte eingehen.

Dass sich Preußen trotz großer Gebietsverluste ab 1759 noch drei Jahre lang im Spiel halten konnte, lag aber nicht nur an seiner Armee, sondern auch am Monarchen. Friedrich II. teilte mit seinen Soldaten das Wachtfeuer genauso wie die Stunden der dunkelsten Niederlagen - und ließ es sogar zu, wenn ihn seine 15-jährigen Fähnriche duzten. Sie glaubten, dass dieser König, der wie sie seine persönliche Existenz aufs Spiel setzte, niemals von Gott völlig verlassen sein könne.

Vor allem aber appellierte "Vater Fritz", wie er in der Truppe auch genannt wurde, an die patriotische Gesinnung seiner Landsleute. Waren sie nicht alle Preußen? Der Erfolg gab ihm Recht. "Während des letzten Krieges haben sich die Bauern freiwillig gemeldet, um Soldaten zu werden und für das Vaterland zu kämpfen", notierte der König in seinem Testament 1768. "Was haben die alten Römer Schöneres getan?"

Der überraschende Tod der russischen Zarin 1762 und der daraufhin folgende Friedensschluss mit Russland brachte dem preußischen Staat schließlich die rettende Erlösung. Von da an war es bis Hubertusburg, wo Österreich und Preußen nach sieben Jahren den Erschöpfungsfrieden verkündeten, nicht weit. Als der Delegierte Hertzberg am 15. Februar 1763 seinen Namen unter das "Friedens-Tractat" setzte, war sein Souverän um ein Haar der Katastrophe, dem Untergang seines Staates, entronnen.

Friedrich gewann keinen Quadratzentimeter Land, aber er behielt Schlesien. Und einen Platz in der Geschichte.

Christoph Rella, geb. 1979, ist Mitarbeiter der "Wiener Zeitung" und Historiker mit dem Schwerpunkt neuzeitliche Kolonialgeschichte.