Arachnophobie lässt | die Spinnen größer erscheinen, als sie tatsächlich sind.
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Berlin. Das Monster seilt sich in Windeseile von der Zimmerdecke ab. Vielbeinig, haarig, unberechenbar. Grund genug, schnell zurückzuweichen, wenn nicht sogar fluchtartig den Raum zu verlassen. Die Angst vor Spinnen ist die wohl am weitesten verbreitete Tierphobie. Schon allein bei der Vorstellung, einer Spinne zu begegnen, rieselt vielen Menschen eine Gänsehaut über den Rücken.
Woher kommt diese geballte Ablehnung? Warum trifft sie die Spinnen? Und warum befällt sie nicht alle Menschen? Die einen laufen in Panik vor "riesigen Spinnen" davon, während andere seelenruhig mit den Achseln zucken und meinen: "Die ist doch eh klein." Die Psychologen Georg Alpers und Antje Gerdes von der Universität Mannheim sind diesem Phänomen nachgegangen.
Schon zuvor hatten Studien Hinweise darauf gegeben, dass Spinnen-Angst eine Frage der Wahrnehmung sein könnte. So haben Forscher der Ohio State University Betroffene gebeten, sich lebenden Vogelspinnen in einem offenen Terrarium zu nähern, diese mit einem Stäbchen zu berühren und Fragen zu ihrem Befinden zu beantworten. Anschließend sollten sie die Größe des jeweiligen Tieres abschätzen. Je stärker ausgeprägt die Spinnen-Angst war, umso deutlicher überschätzten die Befragten die Dimensionen ihres achtbeinigen Gegenübers. Allerdings machten die Teilnehmer ihre Angaben erst, als sie die Tiere nicht mehr vor Augen hatten. Somit konnten die US-Forscher nicht unterscheiden, ob die Spinne für die Betroffenen tatsächlich größer aussah oder ob sie erst in ihrer Erinnerung zum überdimensionalen Monster aufgeblasen wurde.
Georg Alpers und Antje Gerdeliefern nun einen Beweis dafür, dass Angstpatienten die Welt anders sehen als Gesunde. Die Mannheimer Psychologen haben jeweils 20 Menschen mit und ohne Spinnenphobie einem speziellen Sehtest unterzogen, bei dem sie den Probanden andere Bilder auf das linke Auge projizierten als auf das rechte. Eines war eine geometrische Figur, das andere entweder eine Spinne oder eine Blume.
"Es ist nicht möglich, lange zwei verschiedene Bilder gleichzeitig wahrzunehmen", erklärt Alpers: "Sie stehen in einem Wettstreit, den das Gehirn entscheidet." Kurzzeitig sieht der Mensch nur eines der Bilder. Welches das ist, lässt sich nicht bewusst steuern. Vielmehr scheinen Emotionen dabei eine wichtige Rolle zu spielen. So nahmen die Phobiker in der Hälfte aller Durchgänge zuerst das Spinnenbild wahr und danach die geometrische Figur. Bei Menschen, die keine vor den Achtbeinern hatten, passierte das nur halb so oft und sie sahen das Krabbeltier im Schnitt auch nur halb so lange. Konkurrierte ein Blumenbild mit der geometrischen Figur, gab es keine solchen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Obwohl allen Teilnehmern die gleichen Bilder auf die Netzhaut projiziert wurden, ging ihr Wahrnehmungsapparat unterschiedlich damit um: Was Angst auslöst, wirkt dominant.
"Patienten übertreiben nicht, wenn sie berichten, wie bedrohlich sie Spinnen wahrnehmen", betont Gerdes. Ein Mensch, der sich vor etwas fürchtet, habe eine andere Wahrnehmung. Biologisch gesehen ist das durchaus sinnvoll. Schließlich stürmen jede Sekunde Millionen von Sinnesreizen auf den Menschen ein, die er unmöglich alle auswerten kann. Also braucht er ein Sortiersystem. Vor allem Reize, die Gefahr signalisieren, sollten dabei auf keinen Fall durchs Raster fallen. Wer sie nicht blitzschnell erkennt, lebt nicht womöglich lange. Die Angst hebt mögliche Gefahren hervor.
Es gibt Versuche, bei denen Menschen mal auf einem Skateboard an einem Abhang standen und mal auf einer Holzkiste. Erstere hatten mehr Angst vor einem halsbrecherischen Fall in den Abgrund und schätzten den Hang als steiler ein. Bei Menschen mit Phobien scheint dieses natürliche Frühwarnsystem besonders empfindlich zu reagieren und den angstauslösenden Reiz stark zu überzeichnen. Das gilt auch für Menschen, die unter starken Ängsten vor anderen Tieren leiden. Wohl so kommen Anekdoten über kleinkindgroße Ratten, Schlangen in der Länge von Feuerwehrschläuchen und Spinnen im XXL-Format zustande. Warum lösen gerade diese Tiere so häufig Ängste oder zumindest eine gewisse Abneigung aus? Einer gängigen Theorie zufolge ist das ein Erbe aus der Evolution. Schlangen oder Spinnen haben giftige Vertreter in ihren Reihen, Ratten können gefährliche Krankheiten übertragen. Wer den Kontakt mit ihnen mied, lebte sicherer. Vielleicht ist der Mensch deswegen mit feinen Antennen für solche Gegner ausgerüstet.
Unberechenbarkeit kostet die Spinnen Sympathien
Doch auch Insekten haben giftige Stachel. Alpers und seine Kollegen haben untersucht, ob auch sie Phobien auslösen. Sie legten Studenten Bilder von Spinnen, Käfern, Schmetterlingen, Bienen und Wespen vor. Die Spinnen wurden als gefährlicher und ekelerregender empfunden und sie machten mehr Angst. Dabei sind Bienen- und Wespenstiche oft nicht ungefährlicher als Spinnenbisse und kommen häufiger vor.
Nicht einmal Insektenkundler sind automatisch auch Spinnenfans, zeigt eine Studie der University of California. 41 Wissenschafter mit Vorbehalten gegen Spinnen beantworteten Fragen, absolvierten einen psychologischen Test und vergaben Sympathiepunkte für 30 verschiedene Tiere. Demnach scheint selbst der tägliche Umgang mit Kakerlaken und anderen unbeliebten Zeitgenossen nicht vor Spinnen-Ekel zu schützen. "Ich würde lieber eine Handvoll Maden aufheben als einer Spinne so nahe zu kommen, dass ich sie töten kann", gab eine der Befragten zu Protokoll. Denn: "Maden schleichen sich nicht an und springen Dir in die Haare." Vor allem ihre Schnelligkeit und Unberechenbarkeit kostet die Spinnen Sympathiepunkte.