Politologe Anton Pelinka kritisiert die Beliebigkeit des Faschismusbegriffs und sieht Österreichs Demokratie "stabil wie nie".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Faschismus", so schreibt Anton Pelinka in seinem neuesten Buch, sei wie auch dessen Gegenstück, der Antifaschismus, "zu einem Kampfbegriff geworden". Pelinkas Ausgangshypothese lautet: "Faschismus und Antifaschismus gleichen einander in der Beliebigkeit, in der diese beiden Begriffe im Alltag gebraucht und missbraucht werden."
Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Politikwissenschafter über die aktuelle Relevanz dieser Begriffe und den Zustand unserer Demokratie.
"Wiener Zeitung:" Wenn ein Politologe im Jahr 2022 ein Buch über Faschismus schreibt, stellt sich die Frage nach dem Gegenwartsbezug. Wo also erkennen Sie Faschismus im Heute?
Anton Pelinka: Einen solchen Bezug gibt es tatsächlich und hat vor allem mit den Namen Donald Trump und Wladimir Putin zu tun. Beeinflusst hat mich dabei das Buch der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright (Faschismus: Eine Warnung, 2018; Anm.), die noch während der Präsidentschaft Trumps, aber eben vor dem Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 vor dem Aufkommen eines neuen Faschismus gewarnt hat. Neben Putin drängt sich noch ein dritter Name auf: Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Die beiden verbindet ein wesentliches Faschismus-Merkmal, nämlich der Versuch, sämtliche Amtszeitbeschränkungen loszuwerden, eine Herrschaft auf Lebenszeit zu ermöglichen und so die friedliche Machtübergabe zu verhindern. Hier ist das halbfaschistische Spanien die große Ausnahme, denn Spanien gelang es, nicht nur erst eine friedliche Machtübergabe zu bewerkstelligen, sondern das anschließend auch mit einem Systemwechsel zu verbinden.
Faschismus, was ist das überhaupt?
Wenn es um die kürzest mögliche Beschreibung geht, dann würde ich Faschismus so formulieren: Diktatur mit Feindbildkonstruktion und Personalisierung der Macht. Der klassische Faschismus ist für mich der italienische unter Benito Mussolini, den deutschen Nationalsozialismus bezeichne ich dabei als "Faschismus plus", die österreichische Variante unter Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg zwischen 1933 und 1938, bei der man durchaus hinter Faschismus ein Fragezeichen setzen kann, als "Faschismus minus" - wenn man dieses Regime denn unbedingt als Faschismusvariante bezeichnen will, was man eben nur mit erheblichen Einschränkungen tun kann.
Sie beginnen Ihr Buch mit einer Radikalkritik: "Faschismus" wie auch dessen Gegenstück, der Antifaschismus, seien zu inhaltsleeren Kampfparolen verkommen, die nur noch zu politischen Zwecken eingesetzt würden. Trotzdem bleiben Sie dem Begriff treu und erweitern ihn auch noch mit Minus- und Pluszeichen.
Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir bezeichnen als Faschismus ausschließlich das Italien der Jahre von 1923/24 bis 1943, und alles andere ist etwas ganz anderes; oder wir nennen Faschismus jede Form von Diktatur und Unrechtssystem, aber dann stellt sich die Frage: Was machen wir mit Stalin und Lenin? Nennen wir die dann auch Faschisten? Es gibt gute Argumente dafür. Wir haben bei dem Begriff entweder eine sinnlose Unschärfe oder aber eine starke Einengung, die zwar intellektuell und wissenschaftlich sinnvoll ist, aber uns nicht aus dem Dilemma befreit, dass die Begriffe trotzdem in der politischen Debatte allgegenwärtig sind. Bestes Beispiel ist Trumps Behauptung, es sei "die Antifa" gewesen, die das Kapitol gestürmt habe.
In Österreich wird regelmäßig die Rückkehr des Faschismus als Schreckgespenst an die Wand gezeichnet. Der 2021 verstorbene Philosoph Rudolf Burger hat 2000 anlässlich der Demonstrationen gegen Schwarz-Blau vom "antifaschistischen Karneval" gesprochen. Hatte Burger recht oder war Jörg Haider doch ein Faschist?
Burger hatte teilweise recht, und Haider war kein Faschist. Was ich Haider grundsätzlich vorwerfe, ist, dass er den Nationalsozialismus und dessen Entstehung verharmlost hat; das kreide ich auch Burger mit dieser einen Formulierung an. Grundsätzlich gilt: Die Republik Österreich ist stark genug, wir haben keinen Grund, uns vor einer Rückkehr des Faschismus zu fürchten.
Was mich am landläufigen Antifaschismus so stört, ist die Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Dollfuß-Diktatur. Die Verharmlosung der NS-Zeit ist die echte Gefahr, nicht die Wiederkehr von Dollfuß. Und dann treffen sich bei antifaschistischen Demonstrationen Stalin-Anhänger mit liberalen Demokraten und rufen "Hoch der Antifaschismus". Das ist nicht nur unsauber, sondern eigentlich nicht zu rechtfertigen. Es geht um den Gegensatz von Demokratie und Diktatur, und klar ist, dass die Demokratie immer gefährdet ist, aber man muss bei der Beschreibung dieser Gefahren schon genau sein.
Jetzt heißt es, wir würden in einer "postfaschistischen" Ära mit autoritären Tendenzen leben.
Ich bin immer wieder verwundert von den Sorgen über Österreichs Demokratie. Die ist so stabil wie nie zuvor, gekennzeichnet von freien und fairen Wahlen. Auch drei Regierungsbeteiligungen der FPÖ haben daran nichts geändert. Im Gegenteil: Es ist immer besser geworden. Das muss nicht so weitergehen, aber bisher war es eben so. Auch die angeblich zur großen Staatskrise hochgeschrieben "Ibiza"-Affäre samt Abwahl der Regierung wurde mit großer Selbstverständlichkeit nach den Spielregeln der Verfassung abgearbeitet.
Haben Sie eine Erklärung für die Selbstzweifel an der österreichischen Demokratie?
Ich weiß es nicht, aber vielleicht spielt hier das Missverständnis eine Rolle, wonach in einer Demokratie immer alle glücklich sein müssen, andernfalls sei mit der Demokratie etwas nicht in Ordnung. Das ist aber nicht ihre Aufgabe, das Glück für alle von oben zu verordnen, sondern zu gewährleisten, dass jeder und jede sein ganz eigenes, individuelles Glück suchen und finden kann.
Buchtipp~