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Der gegoogelte Olympia-Champion

Von Christoph Rella

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Der Triumph von Rodler David Gleirscher hat in der Tat überrascht. Das ist der Stoff, aus dem nun einmal Sport-Märchen gemacht sind.


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Kaum stand am Sonntag fest, dass Österreich bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang im Rodel-Bewerb Gold gewonnen hatte, ging das große Googeln los, um dann in unzähligen Gratulationsadressen via Facebook, Twitter und Co. seine Fortsetzung zu finden. "Herzliche Gratulation an David Gleirscher zu Gold bei den Olympischen Spielen", zwitscherte etwa Bundeskanzler Sebastian Kurz - oder besser gesagt sein Social-Media-Referent, der sich wie so viele andere auch vermutlich erst einmal via Suchmaschine über den überraschenden Olympioniken schlau gemacht hat. Denn wer vor zwei Tagen prophezeit hätte, dass an diesem Wochenende ausgerechnet die Hashtags "Gleirscher", "Gold" und "Rodeln" online heiß laufen würden, wäre wohl von vielen noch milde belächelt worden. David wer? Ein Athlet, der bisher weder im Weltcup noch bei einer WM jemals aufs Stockerl gefahren ist und auch sein Olympia-Ticket nur mit Glück hatte ergattern können?

Ohne jetzt das Talent und Können des 23-jährigen Tirolers irgendwie in Frage stellen oder schmälern zu wollen: Aber den Namen Gleirscher hatte im Zusammenhang mit Gold kaum jemand auf der Rechnung. Mit Ausnahme seiner Familie und den engsten Freunden vielleicht, die den Lauf ihres Idols zum Sieg sogar auf Video aufzeichneten (und das dann - inklusive Schwenks auf Freundin Larissa mit Söhnchen Leon - überall im Land gezeigt wurde). So etwas macht man nicht, wenn man nicht mit dem großen Erfolg spekuliert.

Dafür war die Freude über Gold umso überwältigender. Und die war nicht nur dem Chaos, verursacht durch die jüngsten Verschiebungen in den für Österreich gewöhnlich erfolgversprechenden alpinen Disziplinen, geschuldet, sondern auch der besonderen Romantik von Gleirschers Goldfahrt. Nichts ist fader, als wenn ein Rennen immer vom Favoriten, oder - noch fader - von immer demselben Favoriten gewonnen wird. Noch dazu, wenn es sich dabei um einen deutschen Protagonisten handelt, wie ganz Patriotische argwöhnen mögen. Dass beispielsweise Laura Dahlmeier am Montag in ihrem zweiten Biathlon-Bewerb ihre zweite Goldmedaille gewonnen hat, mag ja schön für sie sein, nur lässt sich der statistische Jubel der Deutschen darüber wohl nicht mit dem Ausnahmezustand vergleichen, wie er etwa während der nächtlichen Siegesparty für Gleirscher im Österreich-Haus in Pyeongchang geherrscht hatte.

Dass es am Sonntag auch bei den Rodlern fast zu einem Szenario à la Dahlmeier gekommen wäre und der deutsche Favorit und zweifache Olympiasieger Felix Loch seinen dritten Einsitzer-Triumph in Serie geholt hätte, hat diese Romantik nur noch zusätzlich verstärkt. Denn hätte Loch den entscheidenden Lauf nicht doch noch versemmelt, das Märchen dieser Winterspiele über jenen Tiroler, der aus dem Nichts und völlig unerwartet Olympia-Gold holte, wäre nie Realität geworden. Dabei muss man Loch - er wurde Fünfter - gratulieren. Er hat sich über den Triumph Gleirschers nicht nur ehrlich gefreut, sondern auch seinen Konkurrenten im Österreich-Haus besucht und beglückwünscht. Den Tiroler hatte also auch er nicht wirklich auf der Rechnung gehabt. Aber zumindest musste er den Namen nicht googeln.