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Die historischen Stätten von Palmyra, die der IS zerstört hat im Bestreben, alles nicht-islamische Kulturgut auszulöschen, sollen wieder aufgebaut werden. Große Freude - großer Kloß im Magen. Wären diese Rekonstruktionen mehr als Attrappen? Wäre es nicht legitimer, das Gestürzte liegen zu lassen, statt archäologische Fälschung zu betreiben? Zu hart?
Stellen wir uns Folgendes vor: Ein Wahnsinniger schneidet aus der "Mona Lisa" den Kopf heraus und verbrennt das Stück Leinwand. Das Lächeln ist verloren - für immer. Da kommt man auf die Idee, das Gesicht von einem Meister seines Fachs Pinselstrich für Pinselstrich, dokumentiert ist das Bild ja hinreichend, rekonstruieren zu lassen. Wolfgang Bel-
tracchi erhält den Auftrag - und liefert sein Meisterstück. Jeder Pinselstrich sitzt so, wie Leonardo ihn seinerzeit gezogen hat.
Ist das noch Leonardos "Mona Lisa"?
Niemand würde das behaupten. Es ist nur eine Rekonstruktion.
Bei Bauwerken ist es ebenso. In den Steinen lebt der Geist ihrer Bearbeiter, der Geist jener Menschen, die sie geformt, aufgetürmt haben zu Tempeln und Thermen, Theatern und Mausoleen, zu Stätten des Lebens und Stätten des Todes. Was gefallen ist, ist gefallen. Es ist Unsinn zu glauben, eine Rekonstruktion brächte den Geist der Erbauer zurück. Was herauskommt, sind Archäologie-Zombies. Sie dokumentieren nicht einmal mehr ihre eigene Geschichte, zu der eben auch ihre Zerstörung gehört.
Es war seinerzeit eine kluge Entscheidung der Briten, weder Stonehenge noch die Kathedrale von Coventry wiederaufzubauen.
Ist Palmyra ein anderer Fall?