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Der Geist der Wölfe

Von Christina Mondolfo

Wissen

Gudrun Pflüger war eine erfolgreiche Sportlerin, wurde zur begeisterten Wolfsforscherin und kämpfte gegen eine tückische Krankheit um ihr Leben: viel Stoff für 40 Jahre Leben und mehr als genug für ein Buch.


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Die Stimme am anderen Ende der Telefonleitung ist ruhig und sympathisch, man vermeint, ein leises Lächeln zu spüren. Doch es wird im Lauf des Gesprächs auch manchmal die Trauer über bestimmte Entwicklungen oder Ereignisse zu hören sein, eine Trauer, von der sie sich allerdings nicht unterkriegen lässt, noch nie hat unterkriegen lassen.

© © © Radius Images/Corbis

Wie von gar nichts in ihrem Leben. Und da gab es genug Dinge, an denen andere wahrscheinlich verzweifelt wären. Gudrun Pflüger hat lieber ein Buch, nämlich "Wolfspirit. Meine Geschichte von Wölfen und Wundern" darüber geschrieben, um alles zu verarbeiten und "das hat mir auch geholfen zu vergessen". Zu vergessen, dass sie nicht in Kanada bei ihren geliebten Wölfen ist. Doch das ist quasi schon das Ende der Geschichte...

WolfspiritBegonnen hat alles im salzburgischen Radstadt, wo Gudrun schon früh auf Langlaufschiern stand. Wenn die sportliche Karriere anfangs auch nicht so glatt lief, sie kam letztendlich gut ins Laufen und brachte Gudrun Pflüger immerhin über 25 österreichische Meistertitel im Schilanglauf, Berglauf, Halbmarathon und Crosslauf, eine WM-Teilnahme und vier World-Trophy-Siege im Berglauf. Doch 1998 war für damals 26-Jährige endgültig Schluss mit dem aktiven Sport, "der Sinn meiner Schritte war über die Jahre immer fraglicher geworden", sagt sie leise. Aber ihre Kondition und das Wissen um die Lauftechnik werden ihr später in der Wildnis Kanadas, wo sie Wölfe beobachtet, enorm helfen.
Bis dahin dauerte es allerdings noch etwas, das Biologie-Studium in Salzburg wollte abgeschlossen werden. Auf ihrem Weg zur Universität ging sie so oft wie möglich am Wolfsgehege im Zoo Hellbrunn vorbei, schon damals faszinierten sie die scheuen Tiere, obwohl sie wusste, "dass sie in Gefangenschaft einen betäubten Willen haben müssen, um das auszuhalten". Bald wird sie in Kanada andere Wölfe kennenlernen, frei lebende, die ihr sogar erlauben, einen Nachmittag mitten unter ihnen in ihrem Rudel zu verbringen. Dieses Erlebnis, das auch im Film "Die Suche nach den Küstenwölfen" festgehalten worden ist, und ihre umfangreichen Beobachtungen, die sie den Wolf als sensibles, soziales Tier erkennen und erleben lassen, werden ihr dann 2005 helfen, den Kampf gegen ihren Gehirntumor aufzunehmen - und ihn zu gewinnen. Ihm begegnete sie mit den Eigenschaften, die für sie zu den ureigensten der Wölfe gehören - Zielstrebigkeit, Ausdauer, Leidensfähigkeit, Teamkompetenz, Freude und Lebenswillen. Wolfspirit eben. Der hat auch ihre Liebe zum Leben geprägt und ihren Respekt gegenüber allem Lebendigen, gegenüber der Natur überhaupt: "Wir müssen unsere natürlichen Lebensräume erhalten, denn alle Lebenskraft hat ihren Ursprung in der freien Natur. Und diese Botschaft ist für mich untrennbar mit den wildlebenden Wölfen in Kanada verbunden."

Ein schwerer Weg

Seit drei Jahren lebt Gudrun Pflüger wieder in Österreich, gar nicht weit von Radstadt entfernt, in Altenmarkt. Zurückgebracht hat sie hauptsächlich die Geburt ihres Sohnes Conrad, aber sie hatte auch von der Rückkehr der Wölfe nach Deutschland und Österreich gehört, "und ich will ihnen den Weg bereiten, der sehr schwierig ist." Da hat sie sich einiges vorgenommen, denn die wilden Vorfahren unserer Hunde kämpfen bis heute gegen unendlich viele Klischees. Dabei ist längst erwiesen, dass der Wolf nichts mit der Menschen fressenden Bestie gemein hat, als die ihn Legenden und Märchen immer gerne hingestellt haben. "Der Wolf hat wahnsinnig viel Gegenwind, da braucht es jede Menge Aufklärung bei den Menschen. Aber dazu benötigt man Geld und Interesse und beides ist hier in Österreich nur begrenzt vorhanden", bedauert Pflüger. Das ist in Deutschland anders, da gibt es sogar eine Stiftung namens "Wilderness International", die Jugendliche zu Botschaftern der Natur macht: Die Natur kann uns so viel geben, aber wir zerstören das meiste schon vorher", bedauert die Diplom-Biologin. Und auch wenn sich seit der Ausrottung des Wolfs im 19. Jahrhundert vieles geändert hat, mehr Menschen das Land besiedeln und die Landschaftsstruktur sich geändert hat, "der Wolf würde damit zurechtkommen. Bloß wir tun das nicht."

Obwohl Meister Isegrim in Europa streng geschützt ist, geht die Jagd auf ihn weiter. Vergangenes Jahr hat Schweden sogar den Abschuss von über 100 Wölfen erlaubt, angeblich um durch das Auslichten der Rudel neue Wölfe anzulocken, die den Genpool auffrischen sollen: "Das ist nicht nachhaltig. Stattdessen sollte ein natürlicher Wanderkorridor zu anderen Wolfspopulationen wie etwa jenen in Finnland gewährleistet werden, um den Genpool frisch zu halten", weiß Pflüger. "Aber erstens gibt es eben einen riesigen Interessenskonflikt mit den Rentierzüchtern und Bauern und zweitens ist die Jägerschaft eng mit der Politik verbandelt - da weiß man dann, woher die Abschussfreigabe kommt. Immerhin muss sich Schweden jetzt vor der EU verantworten, denn das Land wurde geklagt."

Nipika, das Lieblingsrefugium von Gudrun Pflüger in Kanada.

Die Wildbiologin hat allerdings in Kanada kaum bessere Erfahrungen gemacht, auch dort werden die Wölfe intensiv bejagt. Nach ihren jüngsten Informationen sind von dem Rudel in Kootenay, das sie so intensiv erforscht hat, nur mehr höchstens fünf übrig, "wenn überhaupt". Trotzdem möchte sie gerne wieder zurück: "Obwohl ich schon drei Jahre wieder in Österreich bin, bin ich zerrissen; mein Herz und meine Seele sind noch immer in Kanada. Ich kann hier nicht richtig Fuß fassen, es hat sich zwar die Heimat nicht verändert, aber ich. Und mir fehlen Gleichgesinnte! Ich habe sogar die Jagdprüfung gemacht, um die Einstellung der Jäger verstehen zu können und sie für den Wolf offener zu machen, doch traditionelle Ansichten sind schwer zu verändern."

Ein großer Lehrmeister

Was sie am großen Beutegreifer Wolf so schätzt, sind Toleranz und ihr soziales Zusammenleben, "schließlich hat mich ein wildes Rudel Küstenwölfe in Kanada einen Nachmittag lang an ihrem Leben teilhaben lassen, quasi in ihre Familie aufgenommen". "Wir stehen vor großen Herausforderungen", ist Pflüger überzeugt, "der richtige Umgang mit dem Wolf, ihm seine Lebensberechtigung zu lassen und uns an die neue Situation anzupassen ist wohl ein gutes Training für das, was weltweit auf uns zukommt." Sie wünscht sich, dass sich die Menschen wieder an ihrem Ursprung, der Natur, orientieren: "Wir sind alle viel zu stark zum Konsum erzogen, aber man muss und soll nicht alles haben. Verzicht ist eine echte Bereicherung, das weiß ich aus eigener Erfahrung - ich sehe mich reich, obwohl ich materiell wohl unter der Armutsgrenze lebe."

Auf dem Weg zum Mount Alberta muss auch Nahanni ihren Beitrag leisten und Gepäck tragen.

Diese Liebe und das Verständnis für die Natur will sie auch ihrem mittlerweile dreijährigen Sohn vermitteln. Anfangs kam ihr da Nahanni zu Hilfe, ihre Husky-Mischlingshündin mit Wolfsblut-Einschlag, die sie aus Kanada mitgenommen hatte: "Nahanni war ein ganz besonderer Hund, sie hat mich bei meinen Wolfsforschungen begleitet und war immer für mich da, so wie für Conrad. Und die beiden haben gemeinsam geheult!" Das muss ihr Sohn nun allein machen, denn Nahanni ist im April knapp zehnjährig gestorben: "Es war wohl doch alles viel für sie", sagt Gudrun Pflüger traurig.

Einen Sommerlang hat sie auch ein Alpinprojekt begleitet, das sich mit den möglichen Routen der Wölfe im alpinen Raum beschäftigt: "Wir haben tolle Erkenntnisse gewonnen, die Landschaft bietet sich für Wanderrouten richtiggehend an. Und wenn sie von selbst kommen und bleiben, dann sollen sie auch dauerhaft bleiben dürfen." 40 Rudel könnten rein biologisch allein in Österreich leben, Platz- und Futterangebot regulieren die Größe der Reviere. Doch der Wolf ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, "da sind vom Bauern bis zum Touristiker alle betroffen." Aber Gudrun Pflüger gibt nicht auf, Verständnis und Toleranz für den Wolf zu wecken. Das Buch soll ein weiterer Schritt in diese Richtung sein: "Hätte ich nicht zu den kanadischen Wölfen gefunden, hätte ich wohl keine Chance gehabt, den Gehirntumor zu überleben. Was sie mir mitgegeben haben, ihren Wolfspirit, den möchte ich allen vermitteln." Und wer das Buch gelesen hat, weiß, was sie meint ...

Artikel erschienen am 28. September 2012 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 14-17

Buch:
Gudrun Pflüger: "Wolfspirit. Meine Geschichte von Wölfen und Wundern", Patmos Verlag, 20,60 Euro