Der Ritter ist eine Gestalt aus dem europäischen Mittelalter. Er war Bestandteil einer feudalen Gesellschaft, umgeben mit einer ideologischen Aura, die bis zum heutigen Tag nachwirkt, wie die Ankündigung eines "Welttags der Ritter" zeigt.
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Eine Pressekonferenz der Ritter, das hätte sich nicht einmal Miguel Cervantes träumen lassen. Schon vor 400 Jahren, im Jahr 1613, als sein Roman "Don Quijote" erstmals veröffentlicht wurde, erschien ihm die Gestalt des Ritters angesichts der neuen Zeit als komischer Anachronismus, der sich in Skurrilitäten wie dem berühmten Kampf gegen Windmühlen ausdrückt. Doch bis zum heutigen Tag ist der Kampf gegen Windmühlen immer noch populär. Vor wenigen Monaten kündigte zum Beispiel Baron Hans Adrian Kleiner auf Schloss Laupen, dem Hauptsitz des Ordens der Ritter zum Weißen Falken im Kanton Bern, Schweiz, den ersten Welttag der Ritter an, der im Jahr 2014 im "Fort des Rousses" im französischen Jura stattfinden soll. Um eine "Renaissance der ritterlichen Werte und des ritterlichen Geistes" durchzusetzen, sollen noch im Frühjahr des Jahres 2013 fünf bekannte Persönlichkeiten mit einem Schwert ausgerüstet werden, in dessen Griff die Worte "erster Welttag der Ritter" graviert sind. So ausgerüstet sollen diese Persönlichkeiten auf fünf Kontinenten die Gedanken des Welttags verbreiten.
Unabhängig von solchen erheiternden Episoden ist es erstaunlich, wie langlebig die Ideologie ist, die rund um ein komplexes soziales Phänomen des europäischen Mittelalters entstand. Es geht auf eine lange Periode der Unsicherheit zurück, die Europa nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches durchmachte. Im 9. Jahrhundert entstand im Reich der Karolinger nach und nach eine neue Gesellschaftsordnung, die auf einer strikten Trennung von Herren und Bauern beruhte, wie der österreichische Historiker Reinhard Pohanka herausarbeitet: "In dieser Zeit der Bedrängung durch Normannen, Mauren und Ungarn war es bald einerlei, ob man einer alten adeligen Sippe angehörte, wichtig war, dass man mit Waffen umgehen und das Land verteidigen konnte. Wer das Land schützte, wurde zum Herrn, der wiederum andere in seinen Dienst nahm, das Prinzip von Herrschaft und Dienst bildete sich so aus."
Die Entstehung des Rittertums als einer Kaste von Berufssoldaten im Karolingischen Reich war übrigens mit einer technologischen Erneuerung verknüpft, die Europa vermutlich den Awaren verdankte: der Erfindung des Steigbügels. Berittene Krieger hatte es auch schon in der Antike gegeben, ihre neue Bedeutung erhielten sie erst durch den sicheren Halt, den sie dank des Steigbügels auf dem Rücken ihres Pferdes fanden. Erst damit wurde es möglich, in voller Rüstung auf dem Pferd sitzend eine Lanze zu führen und auch noch im Nahkampf vom Pferd herab agieren zu können.
Die Trennung von Bauern und ritterlichen Berufssoldaten war also auch eine Folge der technologischen Veränderung. Erstens waren die Kosten für die Ausrüstung eines Kämpfers zu Pferd so hoch, dass nur derjenige sie sich leisten konnte, der gute Einkünfte bezog, sowohl aus der Arbeit seiner Bauern auf den Felder als auch aus den im Krieg erbeuteten Reichtümern. Zweitens war die Handhabung des für jene Zeit hypermodernen Kriegsgeräts nur noch bei entsprechendem Training möglich, für das ein Bauer, der auf den Feldern arbeiten musste, nicht mehr genug Zeit aufgebracht hätte. Drittens war ein Ritter seinerseits zu militärischen Dienstleistungen gegenüber seinem König verpflichtet, was Abwesenheit von seinen Gütern ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft erforderte.
Die Kultur des Rittertums, die ihren Höhepunkt zwischen 1100 und 1300 erreichte, beruhte auf der gesellschaftlichen Notwendigkeit der "Dämpfung ungezügelter Emotionen eines brutalen Kriegertums", wie es der deutsche Historiker Joachim Ehlers formuliert, wobei natürlich im historischen Abstand kaum noch zu klären ist, in welcher Beziehung die in den Ritterepen des Hochmittelalters skizzierten Ideale mit der rauen Wirklichkeit des ritterlichen Lebens standen. Auf jeden Fall entstand, mit Ehlers gesprochen, "die erste eigenständige Laienkultur im nachantiken Europa", die im "Ideal des Gentlemans und des Kavaliers" fortlebte. "Aus der epischen Dichtung kennen wir die regelmäßig geforderten und in dieser Regelmäßigkeit wie Bestandteile eines Systems wirkenden Qualitäten, die den Ritter ausmachten: Treue (loyauté) als Lehensmann, Freigiebigkeit (largesse) als Herr, Tapferkeit (prouesse) als Krieger und höfisches Verhalten (courtoisie)." Der moderne Begriff der Höflichkeit geht auf die vom Ritter geforderte "hövescheit" zurück.
Mit dem Hundertjährigen Krieg, den England und Frankreich zwischen 1337 und 1453 austrugen, begann allmählich der militärische Niedergang der Ritter. 1346 vernichteten in der Schlacht von Crécy-en-Ponthieu binnen einer halben Stunde die 5000 Langbogenschützen des englischen Heeres ein ganzes Aufgebot französischer Ritter. Außerdem siedelte sich mit dem Aufstieg der Städte immer häufiger Adelige in den Handelszentren an und der auf die Landwirtschaft angewiesene Ritterstand begann zu verarmen. "Die uns ernähren", heißt es bei Ulrich von Hutten (1488-1523), "sind bettelarme Bauern, denen wir unsere Äcker, Weinberge, Wiesen und Wälder verpachten. Der einkommende Ertrag ist, gemessen an der aufgewandte Mühe, geringfügig."
Eine Weile lebte das Rittertum auch in der Neuzeit Europas noch in glänzenden Inszenierungen in den Städten weiter, in denen noch im 16. Jahrhundert Turniere wie Zirkusdarbietungen abgehalten wurden. In Frankreich allerdings fanden auch diese Shows ein Ende, als im Jahr 1559 König Heinrich II. dabei durch den splitternden Schaft einer Lanze ums Leben kam.
Nach und nach wurde der Ritter vom Berufssoldaten zu einer Gestalt der Literatur, die vor allem in der Romantik, dreihundert Jahre später wieder populär wurde. In Grimms Märchen erscheint er ebenso wie im Fragment "Heinrich von Ofterdingen" des deutschen Dichters Novalis (1772-1801) und später dann in den Opern des Richard Wagner, aus denen die überhöhten Idealgestalten wie Lohengrin, Parzival, Tannhäuser und Tristan stammen, die später in abstoßender Weise von nationalistischen Ideologien vereinnahmt wurden. Woran sich schon zeigt, dass die ritterlichen Ideale in der modernen Welt nach Belieben benützbar sind.
<p class="em_text em_text">Artikel erschienen am 8. Februar 2013 in: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal"
Reinhard Pohanka: "Das Rittertum". Marixverlag, Wiesbaden 2011, 223 Seiten
Joachim Ehlers: "Der Ritter. Geschichte und Kultur". Verlag C.H. Beck, München 2009. 122 Seiten.