Weihnachten ist das Fest des Gebens. Aber haben wir unsere Großzügigkeit verlernt?
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Es ist ein wenig wie eine Katastrophe, die mit schöner Regelmäßigkeit über uns hereinbricht. Heilig Abend, kurz vor Mittag. Auf den Straßen herrscht Hektik, ja fast Panik. Das noch und dies noch und dort noch. Ist das schon genug oder muss man da noch was drauflegen - ein Buch vielleicht, eine DVD, damit man auf den Wert kommt, den man für angemessen hält? Zwischen 12 und 13 Uhr machen die Geschäfte an diesem Tag den Umsatz des Jahres. Kaum ein Zeitpunkt im Jahr, an dem mehr Transaktionen registriert werden. Es wird gekauft, als hätte das Land ein kollektiver Zwang erfasst, ein Wahn. Was morgen kommt? Egal! Hauptsache man hat seine Schuldigkeit getan.
Und dann gibt es die, die versuchen, dem Konsumterror von Anfang an Schranken zu setzen, die versprechen, sich nichts zu schenken oder Grenzen für den Wert der Geschenke festlegen, sozusagen eine Schuldenbremse im ganz Kleinen. Wer hat also recht? Was ist das Richtige zu tun? Mitschwimmen im Rausch des Konsums, dem Tsunami der Güterflut, oder verweigern, um dann doch im tiefsten Herzen vor sich selbst als Geizhals dazustehen?
Die Wahrheit liegt in dem Fall nicht in der Mitte, sie ist viel diffiziler und um sie zu erkennen, muss man tiefer schürfen. Denn es kommt in Wahrheit auf das Motiv an. Egal, ob teurer Schmuck, eine DVD oder ein selbstgemaltes Bild. Die Frage ist: Aus welchem Motiv heraus schenken wir? Schenken wir, weil wir Freude bereiten wollen, weil wir großzügig sind, geben wir aus vollem Herzen, oder schenken wir, weil uns nichts anderes übrig bleibt? Weil uns die ungeschriebenen Gesetze unserer Gesellschaft es vorschreiben, es wäre unmöglich, sich zu entziehen?
Freies Geben ohne Zwang
Vielleicht haben wir das verlernt, was an der Basis dieses Dilemmas steht. Es ist die Großzügigkeit, die Tugend des Gebens um seiner selbst willen. "Dana" nennen das die Buddhisten, freies Geben ohne Zwang, und ohne Hoffen oder Spekulieren auf einen unmittelbaren Vorteil. Geben also ohne auf das Nehmen zu schielen. Ohne die imaginäre Handelsbilanz der Geschenke im Kopf zu rechnen. Großzügigkeit auch als nicht kalkuliert taktisches Verhalten, das eine Gegenleistung herbeiführen will. Schon Aristoteles sah die Großzügigkeit als das rechte Mittel zwischen Verschwendungssucht und Knausrigkeit.
Vielleicht haben wir die Großzügigkeit auch nicht von selbst verlernt, vielleicht wurde sie uns nur abtrainiert. Oder besser gesagt: Sie hat keine Lobby. Da geht es ihrem Gegenspieler, dem Geiz, besser: Jahrelange Zwangsbeschallung mit unsinnigen Botschaften wie "Geiz ist geil". oder "Ich hab ja nichts zu verschenken." Wenn diese Saat des gedanklichen Raubtierkapitalismus in uns aufgeht, muss derjenige, der großzügig sein will, ja fast naturgemäß an seinem Verstand zweifeln. Auch die Politik trägt das ihre zu einem Antagonismus wider die Großherzigkeit bei. Für Menschen um die dreißig ist der politische Diskurs wohl mit keinem Wort mehr verknüpft als mit "sparen". Überall und alles muss gespart, gekürzt, gestutzt oder zurückgeschraubt werden. Man spricht vom "Wildwuchs bei Leistungen", jemand, dem es besser geht, hat "Privilegien" - man verabreicht einen "Haircut", als ob das, was man da wegschneidet, lebloses Beiwerk ist und nicht jeder Schnitt, den man macht, ins Leben anderer schneidet.
In so einem Klima hat es die Großzügigkeit schwer, zu überleben. Es ist schwer, nicht als ahnungsloser Dillo hingestellt zu werden, der nicht um sein Leben spart, jetzt, wo doch angeblich alles den Bach runtergeht.
Aber bei Großzügigkeit geht es nicht immer nur um Geld, den Mammon, der Hofmannsthals Jedermann auch nicht helfen kann, wenn die Zeit der Abrechnung gekommen ist. Großzügig sein kann auch Loslassen bedeuten. Sich lösen von Dingen, die einen belasten. Großzügigkeit im Hinwegsehen über Details. Muss denn immer alles perfekt sein? Und warum wollen wir, dass immer alles perfekt ist - sind wir es, die das wollen, oder dominieren andere unser Wollen?
Nicht umsonst ist eine der Therapien gegen das inflationär grassierende Burnout das (Neu-)Erlernen der Großzügigkeit, gegenüber sich selbst, aber auch gegenüber anderen. Etwa bei Yasmina Rezas großartigem Stück "Der Gott des Gemetzels", in dem ein Paar "großzügig" darüber hinwegsehen will, dass der Sohn des anderen Paares dem eigenen Fleisch und Blut zwei Zähne ausgeschlagen hat (was natürlich beim "Wollen" bleibt und letztlich doch im Gemetzel endet, in dem alle Grenzen fallen, die uns die Gesellschaft auferlegt).
Aber was ist das richtige Maß? Kann man überhaupt zu großzügig sein? Nein, meinen dazu Forschungen aus der Spieltheorie, deren Credo ist: "Man verliert nie, weil man zu großzügig war." In Spielen, die auf menschlicher Interaktion beruhen, ist im Gegenteil die Großzügigkeit das beste Rezept, um zu gewinnen. Bei Spielen, bei denen man auf Kooperation anderer Mitspieler angewiesen ist, ist derjenige erfolgreich, der auch anderen ein Stück von seinem Kuchen abgibt. Wer gibt, dem wird gerne gegeben. Wer knausert, den strafen die anderen ab. Das deckt sich mit Erfahrungen, die Leute im täglichen Leben machen. Wer großzügig ist, dem fällt leichter, anderen zu vergeben. Anders gesagt: Wer Geiz "geil" findet, bleibt damit alleine auf der Strecke.
Wenn Geiz nicht geil ist
Aber gibt es Schenken aus reiner Großzügigkeit überhaupt? Gibt es so etwas wie frei sein von der Spekulation auf einen Vorteil? Es gibt es doch, wie etwa die außergewöhnliche Internet-Plattform www.weihnachtswunsch.com zeigt. Dort kann man (auch völlig anonym) Wünsche erfüllen, die jemand anderer, den man nicht kennt, geschrieben hat. Man kann sich auch selbst etwas wünschen und hoffen, dass ein anderer netter Mensch diesen Wunsch pflückt und erfüllt. Seit zehn Jahren gibt es die Seite und die Betreiber berichten, dass sie in der Regel von den Usern nicht zum persönlichen Vorteil ausgenutzt wird. Die Wünsche reichen von Babysachen, Naschereien oder Leckeres für den Hund bis hin zu immateriellen Wünschen. Wer einen Wunsch erfüllt, hat davon nichts bis auf einen Eintrag in eine Ehrenliste.
"Großzügigkeit ist das Wesen der Freundschaft", schreibt Oscar Wilde. Von Familie ist hier freilich keine Rede - und wer am 24. Dezember ohne Packerln unter dem Baum auftaucht, hat sicher Erklärungsbedarf. Und das hier "Geiz geil" ist, widerlegen alle Statistiken, die von Jahr zu Jahr einen Zuwachs bei den Ausgaben für Weihnachtsgeschenke berichten. Dabei ist Geld nur bedingt die wichtigste Ressource, bei weitem geschlagen wird sie ohnehin von der Zeit. Denn Zeit in ihrer Unerbittlichkeit können auch die Erfolgreichsten in unserer Gesellschaft nicht generieren. Das macht sie zum exklusivsten Geschenk von allen. Und man kann sie sogar noch nach Ladenschluss schenken.