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Das österreichische Pensionssystem, das 1955 für Unselbständige im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geregelt worden war, ist seitdem durch etwa 130 bundesgesetzliche Änderungen | reformiert worden. Diese haben einerseits Verbesserungen für die Versicherungsnehmer gebracht und andererseits den Bundesbeitrag gesenkt. Unser Pensionssystem ist aus der Sicht des Präsidenten des | Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Hans Sallmutter, nicht unmittelbar reformbedürftig, wie er gestern in der "Wiener Zeitung" im ersten Teil seiner Analyse ausführte. Im zweiten und | letzten Teil geht Sallmutter auf die demographische Entwicklung, den Generationenvertrag und das Umlageverfahren ein.
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Die vergangenen beiden Jahrzehnte haben durch eine Reihe von gesetzlichen Änderungen große sozialpolitische Verbesserungen gebracht, sind im Bewusstsein der Öffentlichkeit aber als
kontinuierlicher Sozialabbau in Erinnerung geblieben. Grund dafür ist, dass die Politik zwar Verbesserungen rasch gewährt und kaum kommuniziert, Verschlechterungen aber in kleinen Häppchen umsetzt,
dafür mit großer medialer Präsenz. Dieser zwiespältige Umgang der österreichischen Sozialpolitik mit der Alterssicherung (verkürzt gesagt: sie setzt Verbesserungen um, kommuniziert aber · fast · nur
Verschlechterungen) wirkt sich nachweisbar auf die Einstellung der Bevölkerung zur Alterssicherheit aus, jedoch bei weitem nicht in dem Ausmaß, das man auf Grundlage der veröffentlichten Meinung
befürchten würde.
Die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher hält die gesetzliche Pensionsversicherung für sicherer als die private.
Aus einer repräsentativen Meinungsumfrage, die der Hauptverband der Sozialversicherungsträger im Herbst 1997, also knapp zwei Monate nach einer öffentlich sehr heftig geführten
"Pensionsreformdebatte" durchführen hat lassen, ergab sich ein erstaunlich positives Bild der Pensionsversicherung in der Bevölkerung. So hielten selbst zu diesem Zeitpunkt 47 Prozent der Bevölkerung
die gesetzliche Pensionsversicherung zukünftig für sicherer als die Privatversicherung. Nur 18 Prozent meinten, die Privatversicherung sei sicherer. Knapp zwei Drittel der Bevölkerung vertrauten der
staatlichen Garantie für die gesetzliche Sozialversicherung und meinten, auch künftig werde der Staat dafür Sorge tragen, daß die Pensionszahlungen sicher seien.
Nicht nur die zukünftige, sondern auch die gegenwärtige und bisherige Entwicklung der Pensionsversicherung wurde 1997 von einem Großteil der Bevölkerung verhalten optimistisch beurteilt. Nur 26
Prozent waren der Meinung, in den letzten Jahren hätten sich die Leistungen der gesetzlichen Pensionsversicherung verschlechtert. 52 Prozent der Bevölkerung waren der Ansicht, die Qualität der
Leistungen sei gleich geblieben. Allerdings waren nur 9 Prozent der Meinung, die Leistungen seien besser geworden.
Aus mehreren Untersuchungen über etliche Jahre hinweg ergibt sich ein klares und konstantes Bild: Die Meinung über die gesicherte Zukunft der österreichischen Alterssicherung ist in der gesamten
Bevölkerung, also sowohl bei "Jungen" wie bei "Alten" deutlich besser als bei den Meinungsmachern in Politik, Wissenschaft und Medien. Es wäre aus meiner Sicht daher vor allem wichtig, die
MeinungsmultiplikatorInnen selbst mit den Hintergründen und Funktionsweisen des österreichischen Sozialversicherungssystems (besser) vertraut zu machen · vielleicht könnten wir uns dann zumindest in
den kommenden Jahren die periodische "Pensionsreformdiskussion" ersparen.
Die Fakten belegen jedenfalls mehrfach, dass der so genannte "Generationenvertrag", also die gesellschaftlich eingegangene Verpflichtung der jeweils aktiven Erwerbsgeneration, durch ihre Beiträge und
Steuern die Kosten für die Jugend und die ältere Generation zu tragen und im Gegenzug die politisch vermittelte Garantie einer entsprechenden eigenen Versorgung im Bedarfsfall zu erhalten, stabil
ist:
Der Generationenvertrag wird durch ein breites Vertrauen der Bevölkerung in ihre Alterssicherung getragen.
Er ist ökonomisch stabil, denn das so genannte "Umlageverfahren" garantiert, daß die Beiträge der Erwerbstätigen sofort für die Finanzierung der laufenden Pensionsversicherung herangezogen werden
(keine Risikoveranlagung). Und er ist politisch in hohem Ausmaß stabil, denn er wird durch ein breit abgesichertes prinzipielles Vertrauen der Bevölkerung in ihre Alterssicherung getragen.
Was kann den Generationenvertrag gefährden?
Es wird immer wieder argumentiert, die demografische Verschiebung, die in den kommenden Jahrzehnten einen deutlich höheren Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung bringen wird, werde die
Pension "unfinanzierbar" machen. Dazu gibt es jedoch einige ernste Einwände:
Erstens beschreibt die demografische Entwicklung nur den Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung, nicht aber den Anteil jener, die tatsächlich erwerbstätig sind. So könnte es
daher trotz eines steigenden Anteils der älteren Generation dazu kommen, dass ein größerer Prozentsatz jener, die im erwerbsfähigen Alter sind, auch tatsächlich erwerbstätig ist (etwa durch einen
höheren Anteil berufstätiger Frauen oder eine geringere Zahl vorzeitiger Pensionen). Erfolge aktiver Beschäftigungspolitik und einer verbesserten Gesundheitsvorsorge (d. h. weniger Pensionen wegen
geminderter Arbeitsfähigkeit aus Gesundheitsgründen) können also durchaus die befürchteten negativen Auswirkungen der demografischen Entwicklung mildern oder aufheben.
Wenn die Produktivität steigt, ist es möglich, dass eine geringere Zahl erwerbstätiger Menschen eine größere Zahl nicht mehr berufstätiger Menschen erhält.
Zu bedenken ist auch, dass · volkswirtschaftlich gesehen · nicht die Zahl jener Menschen, die das Volkseinkommen schaffen, entscheidend für die Möglichkeiten einer Gesellschaft ist, ihre nicht
erwerbstätigen Mitglieder zu erhalten, sondern die Höhe des erwirtschafteten Volkseinkommens. Erwiesen ist, dass die Produktivität Jahr für Jahr deutlich steigt; wenn aber die Erwerbstätigen immer
produktiver arbeiten, ist es durchaus vorstellbar, dass eine geringere Zahl erwerbstätiger Menschen eine größere Zahl nicht berufstätiger (älterer) Menschen erhält, ohne dass eine der beiden Gruppen
auf bereits erreichten Lebensstandard verzichten müsste.
Solange die Verhältniszahl der Senioren zu den berufstätigen Menschen langsamer steigt als die Produktivität der Berufstätigen, handelt es sich eigentlich um kein demografisches Problem, sondern um
ein Verteilungsproblem. Dies wäre durchaus zu lösen, etwa durch die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe · die überdies die Lohnnebenkosten senken und Österreich wettbewerbsfähiger machen würde.
Schließlich möchte ich noch auf einen paradoxen Zusammenhang hinweisen: Wenn immer wieder behauptet wird, dass die gesetzliche Pensionsversicherung die Alterssicherung künftig nicht allein bewältigen
könne, weil "in wenigen Jahren ein Berufstätiger einen Pensionisten erhalten müsste und dazu kaum ein Berufstätiger in der Lage" sei und deswegen eine ergänzende private Altersvorsorge für alle
empfohlen werde, dann sei der Hinweis gestattet, daß gerade und auf jeden Fall (per Definition) in der privaten Pensionsversicherung jeweils ein Berufstätiger allein für eine Altersrente · nämlich
die eigene · aufkommen muss. In der gesetzlichen Pensionsversicherung (Unselbständige und Selbständige) kommen demgegenüber heute auf je 1.000 aktive Beschäftigungsverhältnisse 619 Pensionen. Wenn
bei den Privaten Pensionskassen die Relation zwischen Beitragszahlern und Pensionisten immer und definiert 1:1 ist, wieso sollte sich dann die gesetzliche Pensionsversicherung vor einer
"Verschlechterung" dieser vergleichsweise günstigen Relation fürchten?
Eine tatsächliche Gefährdung des Generationenvertrages sehe ich allerdings auf der politischen Ebene. Das Umlageverfahren funktioniert (auch bei den besten ökonomischen Prognosen) dann nicht mehr,
wenn sich ein erheblicher Teil der BeitragszahlerInnen aus dieser Solidargemeinschaft verabschiedet · durch individuelle Beitragsflucht in die Schwarzarbeit oder durch die Wahl einer Partei, die
verspricht, dieses System abzuschaffen. Erfahrungen aus Europa und Übersee zeigen, dass diese Befürchtung nicht unrealistisch ist.
Ich folgere daraus, dass eine große Verantwortung jener, denen die dauerhafte Stabilität der gesetzlichen Alterssicherung ein echtes Anliegen ist, darin liegt, ein Klima des Vertrauens in unsere
Pensionsversicherung zu erhalten uns ständig neu zu reproduzieren. Immer wiederkehrende Diskussionen um drohende neue "Pensionsreformen" sind diesem Anliegen jedoch alles andere als förderlich.
Ausblick: Es wird weiterhin Anpassungen geben müssen
Es ist weder meine Aufgabe noch meine Absicht, vor den Nationalratswahlen einer künftigen Bundesregierung Ratschläge über eine mögliche "Pensionsreform" auf den Weg zu geben. Aber eines ist
gewiss: das staatliche Alterssicherungssystem wird wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft modifiziert und damit den sich verändernden ökonomischen und sozialen Grundlagen angepasst werden.
Wie bisher wird es auch in Zukunft das Allheilmittel der großen Pensionsreform nicht geben.
Wie bei den bisherigen rund 130 Veränderungen des ASVG werden auch in Zukunft "bessere" und "schlechtere" Novellen dabei sein, wird es auch in der Zukunft sowohl soziale Verbesserungen wie die
Abschaffung überkommener, nicht mehr notwendiger Leistungen und die eine oder andere einschneidende Maßnahme geben. Und wie bisher wird es auch in der Zukunft das Allheilmittel der großen
Pensionsreform nicht geben.
Das ist allgemein bekannt und entspringt der Logik des österreichischen Alterssicherungssystems genauso wie der Tradition staatlicher Sozialpolitik in Österreich. Warum erhofft oder befürchtet · je
nach Standpunkt und Interessenslage · man plötzlich die große Reform? Oder sollte das auch Bestandteil der Tradition politischer Auseinandersetzung in Österreich, der sozialpolitischen Folklore
sozusagen, sein?
Wer sich als gelernter Österreicher beziehungsweise als gelernte Österreicherin die Zeit nimmt, in alte Zeitungsbände zurückzublicken, versteht, was ich meine: Seit der Beschlussfassung des ASVG
kehrt das Thema der großen (und diesmal wirklich großen) Pensionsreform in den Schlagzeilen periodisch wie die Sonnenflecken wieder und immer wieder heißt es: Wenn es jetzt diese große Reform nicht
gibt, dann seien die Pensionen in zehn Jahren nicht mehr sicher.
Die Generation der heute Zwanzigjährigen wird über eine stabile Alterssicherung verfügen können.
Diese Argumentationskette finden wir in den sechziger Jahren, in den späten siebziger Jahren, um 1985, in den frühen neunziger Jahren und jetzt wieder. So gewiss wie die Tatsache, dass die
Mehrheit jener Menschen, die sich etwa 1960 um ihre Pensionen "fürchten" musste, heute bereits seit etlichen Jahren im unbeschwerten Genuß einer · in der Regel guten · Pension ist, wird auch die
Generation der heute Zwanzig- oder Dreißigjährigen in ihrem Lebensalter dereinst über eine stabile Alterssicherung verfügen können. Das garantieren das Umlageverfahren und die Flexibilität des
österreichischen Pensionssystems. Anpassungen und Korrekturen wird es natürlich wie in der Vergangenheit auch in der Zukunft des österreichischen Pensionssystems geben, ohne dass die eine "Reform"
die Probleme ein für alle Mal wird lösen können.
Die Beseitigung unseres Pensionssystems oder seine Reduktion auf eine bloße Armeleuteversorgung durch eine Grundpension durch Vorsatz, Mutwillen oder politisches Abenteurertum ist jedenfalls auch in
Zukunft im Interesse der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung zu verhindern.