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Der Geruch des Todes

Von Roland Knauer

Wissen
Der Duftstoff DMS lockt Tiere wie diesen Wanderalbatros zu Plastikabfällen im Meer.
© Knauer

Plastikmüll im Meer lockt mit einem Duftstoff Organismen ins Verderben.


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Wien. Plastikmüll im Meer scheint Schildkröten, Albatrosse und viele andere Organismen wie magisch anzuziehen. Jedenfalls finden Forscher in den Eingeweiden vieler Meerestiere oft große Mengen an Kunststoff-Abfällen. Bisher vermuteten Forscher, die Tiere würden den Plastikmüll erspähen, mit Beute verwechseln und schlucken. Gabrielle Nevitt und ihre Mitarbeiter von der University of California im US-amerikanischen Davis präsentierten jetzt im Fachblatt "Science Advances" schwerwiegende Indizien, nach denen der im Meer häufige Duftstoff Dimethylsulfid oder kurz DMS Tiere auf der Suche nach Beute zum Kunststoff lockt.

Der Ruf der Pausenglocke

Wer hierzulande gern Kohl isst, kennt diese Substanz gut, weil ihr Geruch aus diesem gekochten Gemüse aufsteigt. Sehr häufig kommt DMS auch im Meer vor. Dort entsteht dieses einfache Molekül vor allem in winzigen Algen, von denen riesige Mengen als "Phytoplankton" im Meer schwimmen. Weiden kleine Tiere wie der nur wenige Zentimeter lange Krebs "Krill" an diesen Mikro-Algen, produzieren diese besonders viel DMS. Krill wiederum ist die Leibspeise größerer Tiere von Pinguinen über etliche Seevögel wie Albatrosse und Sturmvögel bis hin zu den mächtigen Blauwalen und anderen Meeressäugern. Auch Meeresschildkröten und einige Fisch-Arten nutzen dieses Angebot.

Viele dieser Tiere finden ihre Beute häufig über den Geruch von DMS, hat Nevitt entdeckt. Für diese Tiere ist das auch beim Kochen von Meeresfrüchten aufsteigende DMS also so etwas Ähnliches wie eine Pausenglocke, die uns Menschen zum Mittagessen ruft. Mit einem Experiment vor der Küste Kaliforniens fand Forscherkollege Matthew Savoca jetzt heraus, dass auch Plastikmüll im Meer DMS abgibt.

Die Forscher hängten an einer Boje in kleinen Netzen Kügelchen mit einem halben Zentimeter Durchmesser ins Wasser, die aus den wichtigsten Plastiksorten Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) bestanden. Drei Wochen später holten sie die Netze wieder heraus. Mit einer Apparatur, die normalerweise die Aromastoffe in Wein analysiert, spürten die Forscher auf den Kunststoffen DMS auf, während sie diese Substanz vor dem Bad im Meerwasser nicht nachweisen konnten.

Nach drei Wochen im Pazifik aber fanden sie DMS sogar in höheren Konzentrationen als die, die zum Beispiel viele Vögel aus der Gruppe der Röhrennasen mit so prominenten Vertretern wie Albatrossen und Sturmvögeln zu ihrer Leibspeise Krill locken. Die genaue Quelle dieses Duftstoffes haben die Forscher zwar noch nicht identifiziert, hegen aber einen Verdacht: Auf der Oberfläche von Plastik-Teilchen, die wie PE und PP im Meerwasser schwimmen, siedeln sich rasch Mikroalgen und andere Organismen an. Nach einiger Zeit bilden sie einen Film auf der Oberfläche und produzieren größere Mengen DMS.

In die Duftfalle getappt

Aber lockt dieser Duftstoff wirklich Albatrosse und Sturmvögel zum Kunststoff-Müll, der in den Meeren schwimmt? Um diese Frage zu beantworten, analysierten sie 13.550 Vögel aus 25 Röhrennasen-Arten, in deren Mägen Plastik gefunden wurde. Tatsächlich tauchen die von DMS angelockten Arten bei diesen Kunststoff-Fressern sechsmal häufiger als andere auf.

Damit aber scheinen die Zusammenhänge klar zu sein: Schwimmt Plastikmüll im Meer, riecht er stärker nach DMS als die Kombination aus Krill und Mikroalgen, die etlichen Seevögeln reiche Beute verspricht. Kein Wunder, wenn die Tiere von diesem Super-Pausensignal angelockt werden und anschließend Kunststoff-Abfall ihre Mägen verstopft.

Gabrielle Nevitt will daher untersuchen, ob auch andere DMS-Schnüffler wie Meeresschildkröten, Pinguine, Fische und auch Meeressäuger wie die großen Wale in diese Duftfalle tappen, die der Plastikmüll ganz offensichtlich bildet.