)
Der stationäre Handel setzt auf Gesichtserkennung, Apps und Künstliche Intelligenz - die Kunden sind (noch) skeptisch.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Die Aufregung war groß, als Ende vergangenen Jahres zwei österreichische Apotheken erstmals Gesichtsscanner installierten. Der Pilotversuch im Auftrag des Pharmakonzerns Bayer Austria hatte zum Ziel, Geschlecht und ungefähres Alter der Kunden zu identifizieren und ihnen dann passende Medikamente zu empfehlen. Nach heftigen Protesten von Konsumenten und Datenschützern wurde die Aktion nach wenigen Tagen abgebrochen.
Einige Monate zuvor hatte die deutsche Supermarktkette Real einen ähnlichen Versuch gestoppt. Auch dabei waren die Gesichter der Kunden im Kassenbereich gescannt worden. Standen Männer an der Kasse, wurde ein Display mit der Werbung eines Autohändlers bespielt, für Frauen lief der Spot eines Floristen. Datenschutzrechtlich war die Aktion legal, da keine personenbezogenen Daten erhoben wurden. Der Unmut der Kunden war trotzdem groß, weil Real zwar auf die Videoüberwachung hingewiesen hatte, nicht aber, dass es dabei um Werbeoptimierung ging.
Technische Revolution
Ob derartige Proteste den Einsatz von Gesichtsscannern und Künstlicher Intelligenz (KI) im stationären Handel auf Dauer verhindern, darf bezweifelt werden. "Künstliche Intelligenz ist nach Omnichannel und Big Data der nächste große Technologietrend, der den Einzelhandel - auch den stationären - revolutioniert", prophezeit Peter Breuer, Seniorpartner des Unternehmensberaters McKinsey, gegenüber dem "Handelsblatt".
Tatsächlich sind die Einsatzmöglichkeit von KI in stationären Geschäften atemberaubend - und eine Möglichkeit, gegenüber dem Online-Handel wieder Terrain zu gewinnen. So können Retailer mithilfe von KI-Anwendungen Aktionen und Werbeangebote im Geschäft in Echtzeit an die aktuelle Kundensituation anpassen. Herrscht zum Beispiel in einer Abteilung Flaute, kann dort solange ein Sonderangebot angezeigt werden, bis ausreichend Kundschaft angelockt wird. Auch die Identifizierung potenter Stammkunden mittels Gesichtsscanner ist dank spezieller Software kein Problem mehr. Sobald ein Stammkunde das Geschäft betritt, geht die Information an die Verkäufer - samt einer Liste der bisherigen Einkäufe.
Datenschützer in Sorge
Erklärtes Ziel all dessen ist die Verschmelzung von Offline- und Online-Handel. Wie das geht, macht Online-Marktführer Amazon seit Jänner 2018 mit seinem ersten kassenlosen Supermarkt "Amazon Go" in Seattle vor. Die Kunden werden dort über eine auf dem Smartphone installierte App identifiziert und der Einkauf wird direkt über Amazon abgerechnet. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert die sogenannte BingoBox in China. In den containerähnlichen Shops bekommt man Waren des täglichen Lebens und bezahlt innerhalb des Messengers WeChat, der rund eine Milliarde Nutzer hat.
Auch in der US-Restaurantkette CaliBurger gehört das Bezahlen vor Ort für Stammkunden bald der Vergangenheit an. Hier wird die Zahlung nach einem Gesichtsscann mittels hinterlegter Kontodaten automatisch abgebucht. "Unser Ziel für 2018 ist es, Kreditkartenzahlungen in allen Filialen durch gesichtsbasierte Bezahlung zu ersetzen", kündigt CaliBurger-CEO John Miller via Presseaussendung an. "Gesichtserkennung ist Teil unserer größeren Strategie, unseren Kunden dieselben Annehmlichkeiten zu gewähren, die sie auch bei Händlern in der digitalen Welt vorfinden." Der Preis für die Bequemlichkeit eines automatischen Check-outs ist da wie dort derselbe: Die Kunden zahlen mit ihren Daten.
In Europa sorgt die Verschmelzung von Online- und Offline-Handel deshalb (noch) für Skepsis: Laut einer Forsa-Umfrage wollen 76 Prozent der deutschen Verbraucher keine Gesichtsauswertung in Supermärkten zu Werbezwecken. Zielgerichtete Werbung, wie sie im Internet längst stattfindet, wird von vielen Konsumenten also abgelehnt, sobald sie im stationären Handel eingesetzt werden soll. Und das zu Recht, sagen Datenschützer. "Im Internet muss der Nutzer über die Erstellung pseudonymer Profile zum Zweck der Werbung informiert werden und kann sein Widerspruchsrecht ausüben. Im Supermarkt soll der Kunde nun digital erfasst und automatisiert vermessen werden. Weder bekommt er hiervon etwas mit, noch kann er sich gegen das Scannen wehren", argumentiert der Hamburgische Datenschutz- Beauftragte Johannes Caspar gegenüber "Spiegel online".
Gewöhnungseffekt
Doch die Erfahrung lehrt: Bei jeder neuen Technologie kommt nach anfänglicher Skepsis schnell der Gewöhnungseffekt. Was bleibt, ist das Staunen darüber, was KI leisten kann. So hat die deutsche Software-Firma SAP im Vorjahr den Prototyp eines Systems präsentiert, das in Schaufenstern von Modegeschäften eingesetzt werden soll. Dabei werden Passanten auf ihr Erscheinungsbild und ihre Körpermaße analysiert, danach werden Vorschläge für Kleidungsstücke eingeblendet. Anhand der Reaktionen veränderte der Prototyp seine Mode-Auswahl solange, bis die KI eine zufriedenstellende Reaktion auf dem Gesicht des Passanten misst.