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Der Gipfel als Minenfeld

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Die Themen des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs haben Konfliktpotenzial.


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Brüssel. Donald Tusk möchte es kurz halten. Das reguläre Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs hat der Ratspräsident für einen einzigen Tag angesetzt, ohne die sonst übliche Fortsetzung tags darauf. Dabei ist es eine breite Palette an Themen, mit denen sich die Spitzenpolitiker am heutigen Donnerstag in Brüssel beschäftigen sollen. Engere Zusammenarbeit bei der Verteidigung, Migration, das EU-Abkommen mit der Ukraine, der bevorstehende Austritt Großbritannien aus der Gemeinschaft - all das steht auf der Agenda.

Die gleiche einem Minenfeld, wie es ein hochrangiger EU-Beamter formulierte. Denn es ist genug Konfliktpotenzial vorhanden. So gab es bis zuletzt keine Einigung über den Umgang mit dem weitreichenden Handelsvertrag mit der Ukraine. Fast alle Mitgliedstaaten sowie das EU-Parlament haben das Abkommen ratifiziert, aber in den Niederlanden lehnte ein Großteil der Bevölkerung dies in einem Referendum ab. Die Regierung musste dem Ergebnis des Votums zwar nicht folgen, konnte es dennoch nicht ignorieren. Daher wurde Monate lang um einen Kompromiss gerungen, der sowohl die Niederlande als auch die Ukraine zufriedenstellen könnte. Der scheint nun in einem Vorschlag Tusks Gestalt anzunehmen, der für den Gipfel vorbereitet wurde.

Einer der Streitpunkte dürfte die mögliche EU-Beitrittsperspektive der Ukraine gewesen sein. Die Aussicht auf eine Mitgliedschaft des Landes in der Union ist zwar im Annäherungsabkommen keinesfalls festgelegt, dennoch hat sie bei der Ablehnung der Niederländer eine Rolle gespielt. In einem Zusatzdokument zu fixieren, dass ein künftiger EU-Beitritt ausgeschlossen ist, was den Wünschen der Niederlande vielleicht entgegenkommen könnte, ist aber für eine Reihe von Mitgliedstaaten, allen voran Polen, nicht akzeptabel. Warschau setzt sich seit Jahren für eine engere Einbindung der Ukraine ein, wo auf der andere Seite Russland seinen Einflussbereich ausweiten will.

Sanktionen vor Verlängerung

Der Konflikt um die Ukraine und die Annektierung der Halbinsel Krim durch Russland war denn auch einer der Gründe für die EU, wirtschaftliche Sanktionen gegen den Kreml zu verhängen. Die Strafmaßnahmen müssten bald verlängert werden - und genau dafür werden Deutschland und Frankreich beim Spitzentreffen plädieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte das nach einer Zusammenkunft mit Staatspräsident François Hollande an. Denn die Umsetzung der Friedensvereinbarung, die unter anderem unter deutsch-französischer Beteiligung in der weißrussischen Hauptstadt Minsk zustande gekommen ist, gestalte sich "sehr schwerfällig", befand Merkel. Die Einhaltung des Vertrags ist aber Voraussetzung für eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland.

Deren Verlängerung zeichnet sich also ab, und mit Widerstand dagegen ist nicht zu rechnen. Auch Österreich, das immer wieder Skepsis gegenüber der Wirksamkeit der Strafmaßnahmen geäußert hat, will keinen Einspruch erheben.

Unwahrscheinlich ist hingegen eine Ausweitung der Sanktionen wegen des militärischen Engagements Russlands in Syrien. Eine Debatte darüber sorgte bereits beim Gipfel im Oktober für Zwistigkeiten unter den Mitgliedstaaten. Damals beschloss die EU lediglich, sich "alle Optionen" für eine Reaktion auf das Vorgehen Moskaus offen zu halten.

Daran wird sie wohl auch diesmal festhalten. Bekräftigen möchte sie auch etwas anderes: die Gültigkeit des Abkommens mit der Türkei zum Grenzschutz und zur Rücknahme von Flüchtlingen. Das ist Teil der Diskussion rund um Migration und um die Flüchtlingskrise, wobei sich die unterschiedlichen Standpunkte der Mitgliedstaaten in den vergangenen Monaten kaum angenähert haben.

Zwist um Flüchtlingsaufnahme

Von einer verpflichtenden Quote zur Verteilung der Asylwerber ist die EU nämlich entfernt wie eh und je, und selbst die Ansätze, den Begriff Solidarität auszudehnen, lösen Zwist aus. Die "effektive Solidarität", unter anderem vom aktuellen EU-Vorsitzland Slowakei ins Spiel gebracht, wird beispielsweise von Italien und Ungarn abgelehnt - wenn auch aus gegensätzlichen Motiven. Während Italien die anderen Länder bei der Versorgung von Flüchtlingen gern verstärkt in die Pflicht nehmen würde, ist Ungarn strikt dagegen.

Budapest lanciert stattdessen eine Idee, die auch schon von der Regierung in Wien aufgebracht wurde: die Schaffung von Aufnahmezentren außerhalb der EU. Dort könnten Flüchtlinge versorgt und deren Asylanträge geprüft werden. Den Weg über das Mittelmeer auf Schlepperbooten sollten sie so vermeiden. Die Länder, in denen diese Auffanglager eingerichtet würden, würden finanzielle und personelle Unterstützung von der Union erhalten.

Auch wenn dieses Konzept äußerst umstritten ist, gibt es Konsens darüber, dass die EU mit Herkunfts- und Transitländern enger zusammenarbeiten sollte. Ein Mittel dazu sind die sogenannten Migrationspartnerschaften, die die Europäer mit afrikanischen Staaten wie Mali, Senegal, Niger, Nigeria und Äthiopien eingehen möchten. Außerdem gibt es Pläne zur Kooperation mit Libyen, um dort die Küstenwache im Kampf gegen Schlepper zu unterstützen. Auch darüber sollen die Staats- und Regierungschefs beim Gipfel beraten.